habe. O thue dem nicht also, sei nicht meiner Begeist- rung früher erstorben, lasse das Geheimniß der Liebe noch einmal zwischen uns erblühen; ein ewiger Trieb, ist außer den Grenzen der irdischen Zeit, und so ist meine Empfindung zu Dir, ein Urquell der Jugend, der da erbrauset in seiner Kraft, und sich fortreißt mit er- neuten Lebensgluthen bis an das Ende.
Und so ist es Mitternacht geworden bei dem Schrei- ben und Bedenken dieser letzten Zeilen, sie nennen es die Sylvesternacht in der die Menschen einen Augenblick das Fortrücken der Zeit wahrnehmen. Nun bei dieser Er- schütterung, die dem Horn des Nach[t]wächters ein grü- ßendes Zeichen entlockt, beschwöre ich Dich: denke von diesen geschriebenen Blättern, daß sie wie alle Wahr- heit wiederkehren aus vergangner Zeit. Es liegt hier nicht ein bloßes Erinnern sondern eine innige Verbin- dung mit jener Zeit zum Grund. Wie der Zauberstab der sich aus dem Strahl liebender Augen bildet und den Geliebten aus der Ferne berührt, so bricht sich der Lichtstrahl jener frühen Zeit an meiner Erinnerung und wird zum Zauberstab an meinem Geist. Eine Empfin- dung unmittelbarer Gewißheit, meines eigensten wahr- haftesten Lebens Ansicht, ist für mich diese Berührung aus der Vergangenheit; und während Schicksal und
habe. O thue dem nicht alſo, ſei nicht meiner Begeiſt- rung früher erſtorben, laſſe das Geheimniß der Liebe noch einmal zwiſchen uns erblühen; ein ewiger Trieb, iſt außer den Grenzen der irdiſchen Zeit, und ſo iſt meine Empfindung zu Dir, ein Urquell der Jugend, der da erbrauſet in ſeiner Kraft, und ſich fortreißt mit er- neuten Lebensgluthen bis an das Ende.
Und ſo iſt es Mitternacht geworden bei dem Schrei- ben und Bedenken dieſer letzten Zeilen, ſie nennen es die Sylveſternacht in der die Menſchen einen Augenblick das Fortrücken der Zeit wahrnehmen. Nun bei dieſer Er- ſchütterung, die dem Horn des Nach[t]wächters ein grü- ßendes Zeichen entlockt, beſchwöre ich Dich: denke von dieſen geſchriebenen Blättern, daß ſie wie alle Wahr- heit wiederkehren aus vergangner Zeit. Es liegt hier nicht ein bloßes Erinnern ſondern eine innige Verbin- dung mit jener Zeit zum Grund. Wie der Zauberſtab der ſich aus dem Strahl liebender Augen bildet und den Geliebten aus der Ferne berührt, ſo bricht ſich der Lichtſtrahl jener frühen Zeit an meiner Erinnerung und wird zum Zauberſtab an meinem Geiſt. Eine Empfin- dung unmittelbarer Gewißheit, meines eigenſten wahr- hafteſten Lebens Anſicht, iſt für mich dieſe Berührung aus der Vergangenheit; und während Schickſal und
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habe. O thue dem nicht alſo, ſei nicht meiner Begeiſt-
rung früher erſtorben, laſſe das Geheimniß der Liebe
noch einmal zwiſchen uns erblühen; ein ewiger Trieb,
iſt außer den Grenzen der irdiſchen Zeit, und ſo iſt
meine Empfindung zu Dir, ein Urquell der Jugend, der
da erbrauſet in ſeiner Kraft, und ſich fortreißt mit er-
neuten Lebensgluthen bis an das Ende.
Und ſo iſt es Mitternacht geworden bei dem Schrei-
ben und Bedenken dieſer letzten Zeilen, ſie nennen es die
Sylveſternacht in der die Menſchen einen Augenblick das
Fortrücken der Zeit wahrnehmen. Nun bei dieſer Er-
ſchütterung, die dem Horn des Nachtwächters ein grü-
ßendes Zeichen entlockt, beſchwöre ich Dich: denke von
dieſen geſchriebenen Blättern, daß ſie wie alle Wahr-
heit wiederkehren aus vergangner Zeit. Es liegt hier
nicht ein bloßes Erinnern ſondern eine innige Verbin-
dung mit jener Zeit zum Grund. Wie der Zauberſtab
der ſich aus dem Strahl liebender Augen bildet und
den Geliebten aus der Ferne berührt, ſo bricht ſich der
Lichtſtrahl jener frühen Zeit an meiner Erinnerung und
wird zum Zauberſtab an meinem Geiſt. Eine Empfin-
dung unmittelbarer Gewißheit, meines eigenſten wahr-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 316. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/326>, abgerufen am 22.11.2024.
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