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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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was meine Ohren von Dir vernahmen das war Keim
des ewigen Lebens, der vom Herzen aus mit fruchten-
der Wärme gehegt ward. Sieh ich durcheile mit die-
sen Erinnerungen die Vergangenheit. Zurück! von Klippe
zu Klippe abwärts, in's Thal einsamer Jugend; hier
Dich findend, das bewegte Herz an deiner Brust be-
schwichtigend, fühl ich mich zu dieser Begeistrung auf-
geregt, mit der der Geist des Himmels in menschlicher
Empfindung sich offenbart.

Dich auszusprechen wär wohl das kräftigste Insie-
gel meiner Liebe ja es bewiese, als ein Erzeugniß gött-
licher Natur meine Verwandtschaft mit Dir. Es wär
ein gelöstes Räthsel, gleich dem lange verschlossnen Berg-
strom der endlich zum Lichte sich drängt, den ungeheu-
ren Sturz mit wollüstiger Begeistrung erleidend, in ei-
nem Lebensmoment, durch welchen, nach welchem ein
höheres Dasein beginnt. -- Du Vernichter der Du den
freien Willen von mir genommen, Du Erzeuger! der
Du die Empfindung des Erwachens in mich geboren;
mit tausend elektrischen Funken aus dem Reiche heiliger
Natur mich durchzuckt. Durch Dich hab ich das Ge-
winde der jungen Rebe lieben lernen, auf ihre bereiften
Früchte fielen meiner Sehnsucht Thränen. Das junge
Gras hab ich um deinetwillen geküßt, die offne Brust

um

was meine Ohren von Dir vernahmen das war Keim
des ewigen Lebens, der vom Herzen aus mit fruchten-
der Wärme gehegt ward. Sieh ich durcheile mit die-
ſen Erinnerungen die Vergangenheit. Zurück! von Klippe
zu Klippe abwärts, in's Thal einſamer Jugend; hier
Dich findend, das bewegte Herz an deiner Bruſt be-
ſchwichtigend, fühl ich mich zu dieſer Begeiſtrung auf-
geregt, mit der der Geiſt des Himmels in menſchlicher
Empfindung ſich offenbart.

Dich auszuſprechen wär wohl das kräftigſte Inſie-
gel meiner Liebe ja es bewieſe, als ein Erzeugniß gött-
licher Natur meine Verwandtſchaft mit Dir. Es wär
ein gelöſtes Räthſel, gleich dem lange verſchloſſnen Berg-
ſtrom der endlich zum Lichte ſich drängt, den ungeheu-
ren Sturz mit wollüſtiger Begeiſtrung erleidend, in ei-
nem Lebensmoment, durch welchen, nach welchem ein
höheres Daſein beginnt. — Du Vernichter der Du den
freien Willen von mir genommen, Du Erzeuger! der
Du die Empfindung des Erwachens in mich geboren;
mit tauſend elektriſchen Funken aus dem Reiche heiliger
Natur mich durchzuckt. Durch Dich hab ich das Ge-
winde der jungen Rebe lieben lernen, auf ihre bereiften
Früchte fielen meiner Sehnſucht Thränen. Das junge
Gras hab ich um deinetwillen geküßt, die offne Bruſt

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[312/0322] was meine Ohren von Dir vernahmen das war Keim des ewigen Lebens, der vom Herzen aus mit fruchten- der Wärme gehegt ward. Sieh ich durcheile mit die- ſen Erinnerungen die Vergangenheit. Zurück! von Klippe zu Klippe abwärts, in's Thal einſamer Jugend; hier Dich findend, das bewegte Herz an deiner Bruſt be- ſchwichtigend, fühl ich mich zu dieſer Begeiſtrung auf- geregt, mit der der Geiſt des Himmels in menſchlicher Empfindung ſich offenbart. Dich auszuſprechen wär wohl das kräftigſte Inſie- gel meiner Liebe ja es bewieſe, als ein Erzeugniß gött- licher Natur meine Verwandtſchaft mit Dir. Es wär ein gelöſtes Räthſel, gleich dem lange verſchloſſnen Berg- ſtrom der endlich zum Lichte ſich drängt, den ungeheu- ren Sturz mit wollüſtiger Begeiſtrung erleidend, in ei- nem Lebensmoment, durch welchen, nach welchem ein höheres Daſein beginnt. — Du Vernichter der Du den freien Willen von mir genommen, Du Erzeuger! der Du die Empfindung des Erwachens in mich geboren; mit tauſend elektriſchen Funken aus dem Reiche heiliger Natur mich durchzuckt. Durch Dich hab ich das Ge- winde der jungen Rebe lieben lernen, auf ihre bereiften Früchte fielen meiner Sehnſucht Thränen. Das junge Gras hab ich um deinetwillen geküßt, die offne Bruſt um

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/322>, abgerufen am 28.11.2024.