Deine Lieder die ich lange nicht gesungen hatte zuckten auf meinen Lippen, ich allein vielleicht unter den Tau- senden die da standen, die schauderten, die jammerten, ich allein fühlte in seeliger einsamer Begeisterung wie feuerfest Du bist -- ein Räthsel hatte sich gelöst, deut- licher und besser konnte der Schmerz der oft in früheren Zeiten in meiner Brust wühlte nicht erläutert werden, ja es war gut, mit diesem Hause brannte ein dumpfes Gebäude nieder, frei und licht wards in meiner Seele, und die Vaterlandsluft wehte mich an -- noch eins will ich Dir davon erzählen: in den ersten Nachmit- tagsstunden schon hatte das Feuer seine Rolle im In- nern ausgespielt, wie der Mond aufging, hüpften die kleinen Flammengeister spielend in den Fenstermauern, in den Verzierungen tanzend, lichteten sie die geschwärz- ten Masken. Am dritten Tag schlug die Flamme aus den tief gehölten Balkenlöchern. Gelt mehr läßt sich nicht erwarten -- willst Du mir nun über all diesen Schutt die Hand wieder reichen, willst Du bis an's End mich warm und liebend für Dich wissen, so sag' ein Wort aber bald, denn ich habe Durst.
Seit den langen Jahren hab' ich das Schreiben verlernt die Gedanken arbeiten sich auf ungeebnetem Weg durch, und doch denk' ich mich noch wie den schäu-
Deine Lieder die ich lange nicht geſungen hatte zuckten auf meinen Lippen, ich allein vielleicht unter den Tau- ſenden die da ſtanden, die ſchauderten, die jammerten, ich allein fühlte in ſeeliger einſamer Begeiſterung wie feuerfeſt Du biſt — ein Räthſel hatte ſich gelöſt, deut- licher und beſſer konnte der Schmerz der oft in früheren Zeiten in meiner Bruſt wühlte nicht erläutert werden, ja es war gut, mit dieſem Hauſe brannte ein dumpfes Gebäude nieder, frei und licht wards in meiner Seele, und die Vaterlandsluft wehte mich an — noch eins will ich Dir davon erzählen: in den erſten Nachmit- tagsſtunden ſchon hatte das Feuer ſeine Rolle im In- nern ausgeſpielt, wie der Mond aufging, hüpften die kleinen Flammengeiſter ſpielend in den Fenſtermauern, in den Verzierungen tanzend, lichteten ſie die geſchwärz- ten Masken. Am dritten Tag ſchlug die Flamme aus den tief gehölten Balkenlöchern. Gelt mehr läßt ſich nicht erwarten — willſt Du mir nun über all dieſen Schutt die Hand wieder reichen, willſt Du bis an's End mich warm und liebend für Dich wiſſen, ſo ſag' ein Wort aber bald, denn ich habe Durſt.
Seit den langen Jahren hab' ich das Schreiben verlernt die Gedanken arbeiten ſich auf ungeebnetem Weg durch, und doch denk' ich mich noch wie den ſchäu-
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Deine Lieder die ich lange nicht geſungen hatte zuckten
auf meinen Lippen, ich allein vielleicht unter den Tau-
ſenden die da ſtanden, die ſchauderten, die jammerten,
ich allein fühlte in ſeeliger einſamer Begeiſterung wie
feuerfeſt Du biſt — ein Räthſel hatte ſich gelöſt, deut-
licher und beſſer konnte der Schmerz der oft in früheren
Zeiten in meiner Bruſt wühlte nicht erläutert werden,
ja es war gut, mit dieſem Hauſe brannte ein dumpfes
Gebäude nieder, frei und licht wards in meiner Seele,
und die Vaterlandsluft wehte mich an — noch eins
will ich Dir davon erzählen: in den erſten Nachmit-
tagsſtunden ſchon hatte das Feuer ſeine Rolle im In-
nern ausgeſpielt, wie der Mond aufging, hüpften die
kleinen Flammengeiſter ſpielend in den Fenſtermauern,
in den Verzierungen tanzend, lichteten ſie die geſchwärz-
ten Masken. Am dritten Tag ſchlug die Flamme aus
den tief gehölten Balkenlöchern. Gelt mehr läßt ſich
nicht erwarten — willſt Du mir nun über all dieſen
Schutt die Hand wieder reichen, willſt Du bis an's End
mich warm und liebend für Dich wiſſen, ſo ſag' ein Wort
aber bald, denn ich habe Durſt.
Seit den langen Jahren hab' ich das Schreiben
verlernt die Gedanken arbeiten ſich auf ungeebnetem
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/313>, abgerufen am 22.11.2024.
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