Gottes Finger die Zunge löse, das Gehör entbinde, alle Sinne wecke, daß er empfange und ausgebe! -- Und ist hier die Liebe nicht allein Meisterin und wir ihre Schüler in jedem Werke das wir durch ihre Inspira- tion vollbringen.
Kunstwerke sind zwar allein das was wir Kunst nennen, durch was wir die Kunst zu erkennen und zu genießen glauben. Aber so weit die Erzeugung Gottes in Herz und Geist, erhaben ist über die Begriffe und Mittheilungen die wir uns von ihm machen, über die Gesetze die von ihm unter uns im zeitlichen Leben gel- ten sollen, eben so erhaben ist die Kunst über das was die Menschen unter sich von ihr geltend machen. Wer sie zu verstehen wähnt der wird nicht mehr leisten, als was der Verstand beherrscht. Wessen Sinne aber ih- rem Geist unterworfen sind, der hat die Offenbarung.
Alles Erzeugniß der Kunst ist Symbol der Offen- barung, und da hat oft der auffassende Geist mehr Theil an der Offenbarung als der erzeugende. -- Die Kunst ist Zeugniß daß die Sprache einer höheren Welt deutlich in der unsern vernommen wird, und wenn wir sie auslegen zu wollen uns nicht vermessen, so wird sie selbst die Vorbereitung jenes höheren Geistesleben in uns bewirken von dem sie die Sprache ist. Es ist
Gottes Finger die Zunge löſe, das Gehör entbinde, alle Sinne wecke, daß er empfange und ausgebe! — Und iſt hier die Liebe nicht allein Meiſterin und wir ihre Schüler in jedem Werke das wir durch ihre Inſpira- tion vollbringen.
Kunſtwerke ſind zwar allein das was wir Kunſt nennen, durch was wir die Kunſt zu erkennen und zu genießen glauben. Aber ſo weit die Erzeugung Gottes in Herz und Geiſt, erhaben iſt über die Begriffe und Mittheilungen die wir uns von ihm machen, über die Geſetze die von ihm unter uns im zeitlichen Leben gel- ten ſollen, eben ſo erhaben iſt die Kunſt über das was die Menſchen unter ſich von ihr geltend machen. Wer ſie zu verſtehen wähnt der wird nicht mehr leiſten, als was der Verſtand beherrſcht. Weſſen Sinne aber ih- rem Geiſt unterworfen ſind, der hat die Offenbarung.
Alles Erzeugniß der Kunſt iſt Symbol der Offen- barung, und da hat oft der auffaſſende Geiſt mehr Theil an der Offenbarung als der erzeugende. — Die Kunſt iſt Zeugniß daß die Sprache einer höheren Welt deutlich in der unſern vernommen wird, und wenn wir ſie auslegen zu wollen uns nicht vermeſſen, ſo wird ſie ſelbſt die Vorbereitung jenes höheren Geiſtesleben in uns bewirken von dem ſie die Sprache iſt. Es iſt
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0302"n="292"/>
Gottes Finger die Zunge löſe, das Gehör entbinde, alle<lb/>
Sinne wecke, daß er empfange und ausgebe! — Und<lb/>
iſt hier die Liebe nicht allein Meiſterin und wir ihre<lb/>
Schüler in jedem Werke das wir durch ihre Inſpira-<lb/>
tion vollbringen.</p><lb/><p>Kunſtwerke ſind zwar allein das was wir Kunſt<lb/>
nennen, durch was wir die Kunſt zu erkennen und zu<lb/>
genießen glauben. Aber ſo weit die Erzeugung Gottes<lb/>
in Herz und Geiſt, erhaben iſt über die Begriffe und<lb/>
Mittheilungen die wir uns von ihm machen, über die<lb/>
Geſetze die von ihm unter uns im zeitlichen Leben gel-<lb/>
ten ſollen, eben ſo erhaben iſt die Kunſt über das was<lb/>
die Menſchen unter ſich von ihr geltend machen. Wer<lb/>ſie zu verſtehen wähnt der wird nicht mehr leiſten, als<lb/>
was der Verſtand beherrſcht. Weſſen Sinne aber ih-<lb/>
rem Geiſt unterworfen ſind, der hat die Offenbarung.</p><lb/><p>Alles Erzeugniß der Kunſt iſt Symbol der Offen-<lb/>
barung, und da hat oft der auffaſſende Geiſt mehr<lb/>
Theil an der Offenbarung als der erzeugende. — Die<lb/>
Kunſt iſt Zeugniß daß die Sprache einer höheren Welt<lb/>
deutlich in der unſern vernommen wird, und wenn<lb/>
wir ſie auslegen zu wollen uns nicht vermeſſen, ſo wird<lb/>ſie ſelbſt die Vorbereitung jenes höheren Geiſtesleben<lb/>
in uns bewirken von dem ſie die Sprache iſt. Es iſt<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[292/0302]
Gottes Finger die Zunge löſe, das Gehör entbinde, alle
Sinne wecke, daß er empfange und ausgebe! — Und
iſt hier die Liebe nicht allein Meiſterin und wir ihre
Schüler in jedem Werke das wir durch ihre Inſpira-
tion vollbringen.
Kunſtwerke ſind zwar allein das was wir Kunſt
nennen, durch was wir die Kunſt zu erkennen und zu
genießen glauben. Aber ſo weit die Erzeugung Gottes
in Herz und Geiſt, erhaben iſt über die Begriffe und
Mittheilungen die wir uns von ihm machen, über die
Geſetze die von ihm unter uns im zeitlichen Leben gel-
ten ſollen, eben ſo erhaben iſt die Kunſt über das was
die Menſchen unter ſich von ihr geltend machen. Wer
ſie zu verſtehen wähnt der wird nicht mehr leiſten, als
was der Verſtand beherrſcht. Weſſen Sinne aber ih-
rem Geiſt unterworfen ſind, der hat die Offenbarung.
Alles Erzeugniß der Kunſt iſt Symbol der Offen-
barung, und da hat oft der auffaſſende Geiſt mehr
Theil an der Offenbarung als der erzeugende. — Die
Kunſt iſt Zeugniß daß die Sprache einer höheren Welt
deutlich in der unſern vernommen wird, und wenn
wir ſie auslegen zu wollen uns nicht vermeſſen, ſo wird
ſie ſelbſt die Vorbereitung jenes höheren Geiſtesleben
in uns bewirken von dem ſie die Sprache iſt. Es iſt
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 292. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/302>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.