ihn zu sehen, ich ging mit ohne daß einer ahndete wie tief es mir zu Herzen gehe, einmal da der Kaiser vor- über fuhr sprang sie auf einen Prallstein am Weg und rief ihm ein lautes Vivat zu, er sah heraus und winkte freundlich mit dem Schnupftuch, sie prahlte sich sehr daß der Kaiser ihr so freundlich gewinkt habe, ich war aber heimlich überzeugt daß der Gruß mir gegolten habe, denn im Vorüberfahren sah er noch einmal rück- wärts nach mir; ja beinah jeden Tag wo ich Gelegen- heit hatte ihn zu sehen ereignete sich etwas was ich mir als ein Zeichen seiner Gunst auslegen konnte, und am Abend in meiner Schlafkammer kniete ich allemal vor meinem Bett und hielt den Kopf in meinen Händen, wie ich von ihm am Charfreitag in der Kirche gesehen hatte, und dann überlegte ich was mir alles mit ihm begegnet war, und so baute sich ein geheimes Liebesein- verständniß in meinem Herzen auf von dem mir un- möglich war zu glauben, daß er nichts davon ahnde, ich glaubte gewiß er habe meine Wohnung erforscht da er jetzt öfter durch unsre Gasse fuhr wie sonst, und alle- mal heraufsah nach den Fenstern und mich grüßte. O wie war ich den vollen Tag so seelig wo er mir am Morgen einen Gruß gespendet hatte; da kann ich wohl sagen daß ich weinte vor Lust. -- Wie er einmal offne
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ihn zu ſehen, ich ging mit ohne daß einer ahndete wie tief es mir zu Herzen gehe, einmal da der Kaiſer vor- über fuhr ſprang ſie auf einen Prallſtein am Weg und rief ihm ein lautes Vivat zu, er ſah heraus und winkte freundlich mit dem Schnupftuch, ſie prahlte ſich ſehr daß der Kaiſer ihr ſo freundlich gewinkt habe, ich war aber heimlich überzeugt daß der Gruß mir gegolten habe, denn im Vorüberfahren ſah er noch einmal rück- wärts nach mir; ja beinah jeden Tag wo ich Gelegen- heit hatte ihn zu ſehen ereignete ſich etwas was ich mir als ein Zeichen ſeiner Gunſt auslegen konnte, und am Abend in meiner Schlafkammer kniete ich allemal vor meinem Bett und hielt den Kopf in meinen Händen, wie ich von ihm am Charfreitag in der Kirche geſehen hatte, und dann überlegte ich was mir alles mit ihm begegnet war, und ſo baute ſich ein geheimes Liebesein- verſtändniß in meinem Herzen auf von dem mir un- möglich war zu glauben, daß er nichts davon ahnde, ich glaubte gewiß er habe meine Wohnung erforſcht da er jetzt öfter durch unſre Gaſſe fuhr wie ſonſt, und alle- mal heraufſah nach den Fenſtern und mich grüßte. O wie war ich den vollen Tag ſo ſeelig wo er mir am Morgen einen Gruß geſpendet hatte; da kann ich wohl ſagen daß ich weinte vor Luſt. — Wie er einmal offne
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ihn zu ſehen, ich ging mit ohne daß einer ahndete wie
tief es mir zu Herzen gehe, einmal da der Kaiſer vor-
über fuhr ſprang ſie auf einen Prallſtein am Weg und
rief ihm ein lautes Vivat zu, er ſah heraus und winkte
freundlich mit dem Schnupftuch, ſie prahlte ſich ſehr
daß der Kaiſer ihr ſo freundlich gewinkt habe, ich war
aber heimlich überzeugt daß der Gruß mir gegolten
habe, denn im Vorüberfahren ſah er noch einmal rück-
wärts nach mir; ja beinah jeden Tag wo ich Gelegen-
heit hatte ihn zu ſehen ereignete ſich etwas was ich mir
als ein Zeichen ſeiner Gunſt auslegen konnte, und am
Abend in meiner Schlafkammer kniete ich allemal vor
meinem Bett und hielt den Kopf in meinen Händen,
wie ich von ihm am Charfreitag in der Kirche geſehen
hatte, und dann überlegte ich was mir alles mit ihm
begegnet war, und ſo baute ſich ein geheimes Liebesein-
verſtändniß in meinem Herzen auf von dem mir un-
möglich war zu glauben, daß er nichts davon ahnde,
ich glaubte gewiß er habe meine Wohnung erforſcht da
er jetzt öfter durch unſre Gaſſe fuhr wie ſonſt, und alle-
mal heraufſah nach den Fenſtern und mich grüßte. O
wie war ich den vollen Tag ſo ſeelig wo er mir am
Morgen einen Gruß geſpendet hatte; da kann ich wohl
ſagen daß ich weinte vor Luſt. — Wie er einmal offne
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 273. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/283>, abgerufen am 24.11.2024.
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