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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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sein, denn sie sagte selbst daß sie in dieser Beziehung
sich nie getäuscht habe.

Deine Großmutter kam einst nach Mitternacht in
die Schlafstube der Töchter und blieb da bis am Mor-
gen, weil ihr etwas begegnet war was sie vor Angst
sich nicht zu sagen getraute, am andern Morgen er-
zählte sie, daß etwas im Zimmer geraschelt habe wie
Papier, in der Meinung das Fenster sei offen und der
Wind jage die Papiere von des Vaters Schreibpult im
anstoßenden Studierzimmer umher, sei sie aufgestanden
aber die Fenster seien geschlossen gewesen. Da sie wie-
der im Bett lag, rauschte es immer näher und näher
heran mit ängstlichem Zusammenknittern von Papier,
endlich seufzte es tief auf, und noch einmal dicht an
ihrem Angesicht daß es sie kalt anwehte, darauf ist sie
vor Angst zu den Kindern gelaufen; kurz hiernach ließ
sich ein Fremder melden da dieser nun auf die Haus-
frau zuging und ein ganz zerknittertes Papier ihr dar-
reichte wandelte sie eine Ohnmacht an. Ein Freund
von ihr der in jener Nacht seinen herannahenden Tod
gespürt, hatte nach Papier verlangt, um der Freundin
in einer wichtigen Angelegenheit zu schreiben, aber noch
ehe er fertig war hatte er vom Todeskrampf ergriffen,
das Papier gepackt, zerknittert und damit auf der Bett-

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ſein, denn ſie ſagte ſelbſt daß ſie in dieſer Beziehung
ſich nie getäuſcht habe.

Deine Großmutter kam einſt nach Mitternacht in
die Schlafſtube der Töchter und blieb da bis am Mor-
gen, weil ihr etwas begegnet war was ſie vor Angſt
ſich nicht zu ſagen getraute, am andern Morgen er-
zählte ſie, daß etwas im Zimmer geraſchelt habe wie
Papier, in der Meinung das Fenſter ſei offen und der
Wind jage die Papiere von des Vaters Schreibpult im
anſtoßenden Studierzimmer umher, ſei ſie aufgeſtanden
aber die Fenſter ſeien geſchloſſen geweſen. Da ſie wie-
der im Bett lag, rauſchte es immer näher und näher
heran mit ängſtlichem Zuſammenknittern von Papier,
endlich ſeufzte es tief auf, und noch einmal dicht an
ihrem Angeſicht daß es ſie kalt anwehte, darauf iſt ſie
vor Angſt zu den Kindern gelaufen; kurz hiernach ließ
ſich ein Fremder melden da dieſer nun auf die Haus-
frau zuging und ein ganz zerknittertes Papier ihr dar-
reichte wandelte ſie eine Ohnmacht an. Ein Freund
von ihr der in jener Nacht ſeinen herannahenden Tod
geſpürt, hatte nach Papier verlangt, um der Freundin
in einer wichtigen Angelegenheit zu ſchreiben, aber noch
ehe er fertig war hatte er vom Todeskrampf ergriffen,
das Papier gepackt, zerknittert und damit auf der Bett-

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[267/0277] ſein, denn ſie ſagte ſelbſt daß ſie in dieſer Beziehung ſich nie getäuſcht habe. Deine Großmutter kam einſt nach Mitternacht in die Schlafſtube der Töchter und blieb da bis am Mor- gen, weil ihr etwas begegnet war was ſie vor Angſt ſich nicht zu ſagen getraute, am andern Morgen er- zählte ſie, daß etwas im Zimmer geraſchelt habe wie Papier, in der Meinung das Fenſter ſei offen und der Wind jage die Papiere von des Vaters Schreibpult im anſtoßenden Studierzimmer umher, ſei ſie aufgeſtanden aber die Fenſter ſeien geſchloſſen geweſen. Da ſie wie- der im Bett lag, rauſchte es immer näher und näher heran mit ängſtlichem Zuſammenknittern von Papier, endlich ſeufzte es tief auf, und noch einmal dicht an ihrem Angeſicht daß es ſie kalt anwehte, darauf iſt ſie vor Angſt zu den Kindern gelaufen; kurz hiernach ließ ſich ein Fremder melden da dieſer nun auf die Haus- frau zuging und ein ganz zerknittertes Papier ihr dar- reichte wandelte ſie eine Ohnmacht an. Ein Freund von ihr der in jener Nacht ſeinen herannahenden Tod geſpürt, hatte nach Papier verlangt, um der Freundin in einer wichtigen Angelegenheit zu ſchreiben, aber noch ehe er fertig war hatte er vom Todeskrampf ergriffen, das Papier gepackt, zerknittert und damit auf der Bett- 12*

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/277>, abgerufen am 22.11.2024.