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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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schichtchen beschrieben waren, er sagte ihr, daß er dies
alles gemacht habe, um es dem Bruder zu lehren.

Die Mutter glaubte auch sich einen Antheil an sei-
ner Darstellungsgabe zuschreiben zu dürfen, "denn ein-
mal," sagte sie, "konnte ich nicht ermüden zu erzählen,
so wie er nicht ermüdete zuzuhören, Luft, Feuer, Wasser
und Erde stellte ich ihm unter schönen Prinzessinnen vor,
und alles was in der ganzen Natur vorging, dem er-
gab sich eine Bedeutung, an die ich bald selbst fester
glaubte als meine Zuhörer, und da wir uns erst zwi-
schen den Gestirnen, Straßen dachten, und daß wir einst
Sterne bewohnen würden, und welchen großen Geistern
wir da oben begegnen würden, da war kein Mensch so
eifrig auf die Stunde des Erzählens mit den Kindern
wie ich, ja, ich war im höchsten Grad begierig unsere
kleinen eingebildeten Erzählungen weiter zu führen, und
eine Einladung, die mich um einen solchen Abend brachte,
war mir immer verdrießlich. Da saß ich, und da ver-
schlang er mich bald mit seinen großen schwarzen Au-
gen, und wenn das Schicksal irgend eines Lieblings
nicht recht nach seinem Sinn ging, da sah ich wie die
Zornader an der Stirn schwoll und wie er die Thränen
verbiß. Manchmal griff er ein und sagte noch eh ich
meine Wendung genommen hatte, nicht wahr, Mutter,

ſchichtchen beſchrieben waren, er ſagte ihr, daß er dies
alles gemacht habe, um es dem Bruder zu lehren.

Die Mutter glaubte auch ſich einen Antheil an ſei-
ner Darſtellungsgabe zuſchreiben zu dürfen, „denn ein-
mal,“ ſagte ſie, „konnte ich nicht ermüden zu erzählen,
ſo wie er nicht ermüdete zuzuhören, Luft, Feuer, Waſſer
und Erde ſtellte ich ihm unter ſchönen Prinzeſſinnen vor,
und alles was in der ganzen Natur vorging, dem er-
gab ſich eine Bedeutung, an die ich bald ſelbſt feſter
glaubte als meine Zuhörer, und da wir uns erſt zwi-
ſchen den Geſtirnen, Straßen dachten, und daß wir einſt
Sterne bewohnen würden, und welchen großen Geiſtern
wir da oben begegnen würden, da war kein Menſch ſo
eifrig auf die Stunde des Erzählens mit den Kindern
wie ich, ja, ich war im höchſten Grad begierig unſere
kleinen eingebildeten Erzählungen weiter zu führen, und
eine Einladung, die mich um einen ſolchen Abend brachte,
war mir immer verdrießlich. Da ſaß ich, und da ver-
ſchlang er mich bald mit ſeinen großen ſchwarzen Au-
gen, und wenn das Schickſal irgend eines Lieblings
nicht recht nach ſeinem Sinn ging, da ſah ich wie die
Zornader an der Stirn ſchwoll und wie er die Thränen
verbiß. Manchmal griff er ein und ſagte noch eh ich
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[251/0261] ſchichtchen beſchrieben waren, er ſagte ihr, daß er dies alles gemacht habe, um es dem Bruder zu lehren. Die Mutter glaubte auch ſich einen Antheil an ſei- ner Darſtellungsgabe zuſchreiben zu dürfen, „denn ein- mal,“ ſagte ſie, „konnte ich nicht ermüden zu erzählen, ſo wie er nicht ermüdete zuzuhören, Luft, Feuer, Waſſer und Erde ſtellte ich ihm unter ſchönen Prinzeſſinnen vor, und alles was in der ganzen Natur vorging, dem er- gab ſich eine Bedeutung, an die ich bald ſelbſt feſter glaubte als meine Zuhörer, und da wir uns erſt zwi- ſchen den Geſtirnen, Straßen dachten, und daß wir einſt Sterne bewohnen würden, und welchen großen Geiſtern wir da oben begegnen würden, da war kein Menſch ſo eifrig auf die Stunde des Erzählens mit den Kindern wie ich, ja, ich war im höchſten Grad begierig unſere kleinen eingebildeten Erzählungen weiter zu führen, und eine Einladung, die mich um einen ſolchen Abend brachte, war mir immer verdrießlich. Da ſaß ich, und da ver- ſchlang er mich bald mit ſeinen großen ſchwarzen Au- gen, und wenn das Schickſal irgend eines Lieblings nicht recht nach ſeinem Sinn ging, da ſah ich wie die Zornader an der Stirn ſchwoll und wie er die Thränen verbiß. Manchmal griff er ein und ſagte noch eh ich meine Wendung genommen hatte, nicht wahr, Mutter,

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 251. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/261>, abgerufen am 25.11.2024.