schreib mir, ob Dir mehr erforderlich ist, in diesem Fall müßte ich das Notizenbuch zurückerhalten was ich hier mitschicke, ich glaub aber gewiß, daß Du besser und mehr darin finden wirst, als ich noch hinzusetzen könnte. Ver- zeih alles Überflüssige, wozu denn wohl am ersten die Tintenkleckse und ausgestrichnen Worte gehören.
An Goethe.
Die Himmel dehnen sich so weit vor mir, alle Berge, die ich je mit stillem Blick maß, heben sich so unermeß- lich, die Ebnen, die noch eben mit dem glühen[den] Rand der aufgehenden Sonne begränzt waren, sie haben keine Gränzen mehr. In die Ewigkeit hinein. -- Will denn sein Leben so viel Raum haben? --
Von seiner Kindheit: wie er schon mit neun Wo- chen ängstliche Träume gehabt, wie Großmutter und Großvater und Mutter und Vater und die Amme um seine Wiege gestanden und lauschten, welche heftige Be- wegungen sich in seinen Mienen zeigten, und wenn er erwachte, in ein sehr betrübtes Weinen verfallen, oft auch sehr heftig geschrieen hat, so daß ihm der Athem entging und die Eltern für sein Leben besorgt waren, sie schafften eine Klingel an; wenn sie merkten, daß er
ſchreib mir, ob Dir mehr erforderlich iſt, in dieſem Fall müßte ich das Notizenbuch zurückerhalten was ich hier mitſchicke, ich glaub aber gewiß, daß Du beſſer und mehr darin finden wirſt, als ich noch hinzuſetzen könnte. Ver- zeih alles Überflüſſige, wozu denn wohl am erſten die Tintenkleckſe und ausgeſtrichnen Worte gehören.
An Goethe.
Die Himmel dehnen ſich ſo weit vor mir, alle Berge, die ich je mit ſtillem Blick maß, heben ſich ſo unermeß- lich, die Ebnen, die noch eben mit dem glühen[den] Rand der aufgehenden Sonne begränzt waren, ſie haben keine Gränzen mehr. In die Ewigkeit hinein. — Will denn ſein Leben ſo viel Raum haben? —
Von ſeiner Kindheit: wie er ſchon mit neun Wo- chen ängſtliche Träume gehabt, wie Großmutter und Großvater und Mutter und Vater und die Amme um ſeine Wiege geſtanden und lauſchten, welche heftige Be- wegungen ſich in ſeinen Mienen zeigten, und wenn er erwachte, in ein ſehr betrübtes Weinen verfallen, oft auch ſehr heftig geſchrieen hat, ſo daß ihm der Athem entging und die Eltern für ſein Leben beſorgt waren, ſie ſchafften eine Klingel an; wenn ſie merkten, daß er
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><postscript><p><pbfacs="#f0257"n="247"/>ſchreib mir, ob Dir mehr erforderlich iſt, in dieſem Fall<lb/>
müßte ich das Notizenbuch zurückerhalten was ich hier<lb/>
mitſchicke, ich glaub aber gewiß, daß Du beſſer und mehr<lb/>
darin finden wirſt, als ich noch hinzuſetzen könnte. Ver-<lb/>
zeih alles Überflüſſige, wozu denn wohl am erſten die<lb/>
Tintenkleckſe und ausgeſtrichnen Worte gehören.</p></postscript></div><lb/><divn="2"><opener><salute>An Goethe.</salute></opener><lb/><p>Die Himmel dehnen ſich ſo weit vor mir, alle Berge,<lb/>
die ich je mit ſtillem Blick maß, heben ſich ſo unermeß-<lb/>
lich, die Ebnen, die noch eben mit dem glühen<supplied>den</supplied> Rand<lb/>
der aufgehenden Sonne begränzt waren, ſie haben keine<lb/>
Gränzen mehr. In die Ewigkeit hinein. — Will denn<lb/>ſein Leben ſo viel Raum haben? —</p><lb/><p>Von ſeiner Kindheit: wie er ſchon mit neun Wo-<lb/>
chen ängſtliche Träume gehabt, wie Großmutter und<lb/>
Großvater und Mutter und Vater und die Amme um<lb/>ſeine Wiege geſtanden und lauſchten, welche heftige Be-<lb/>
wegungen ſich in ſeinen Mienen zeigten, und wenn er<lb/>
erwachte, in ein ſehr betrübtes Weinen verfallen, oft<lb/>
auch ſehr heftig geſchrieen hat, ſo daß ihm der Athem<lb/>
entging und die Eltern für ſein Leben beſorgt waren,<lb/>ſie ſchafften eine Klingel an; wenn ſie merkten, daß er<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[247/0257]
ſchreib mir, ob Dir mehr erforderlich iſt, in dieſem Fall
müßte ich das Notizenbuch zurückerhalten was ich hier
mitſchicke, ich glaub aber gewiß, daß Du beſſer und mehr
darin finden wirſt, als ich noch hinzuſetzen könnte. Ver-
zeih alles Überflüſſige, wozu denn wohl am erſten die
Tintenkleckſe und ausgeſtrichnen Worte gehören.
An Goethe.
Die Himmel dehnen ſich ſo weit vor mir, alle Berge,
die ich je mit ſtillem Blick maß, heben ſich ſo unermeß-
lich, die Ebnen, die noch eben mit dem glühenden Rand
der aufgehenden Sonne begränzt waren, ſie haben keine
Gränzen mehr. In die Ewigkeit hinein. — Will denn
ſein Leben ſo viel Raum haben? —
Von ſeiner Kindheit: wie er ſchon mit neun Wo-
chen ängſtliche Träume gehabt, wie Großmutter und
Großvater und Mutter und Vater und die Amme um
ſeine Wiege geſtanden und lauſchten, welche heftige Be-
wegungen ſich in ſeinen Mienen zeigten, und wenn er
erwachte, in ein ſehr betrübtes Weinen verfallen, oft
auch ſehr heftig geſchrieen hat, ſo daß ihm der Athem
entging und die Eltern für ſein Leben beſorgt waren,
ſie ſchafften eine Klingel an; wenn ſie merkten, daß er
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/257>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.