zweifeln muß, sondern daß mir Trost von den Sternen niederleuchtet, jetzt wo wir nicht bei einander sind. Vorm Jahr um diese Zeit da ging ich an einem Tag weit spa- zieren und blieb auf einem Berg sitzen, da oben spielt ich mit dem glitzernden Sand den die Sonne beschien, und knipste den Saamen aus den verdorrten Stäud- chen, bei mit nebelkämpfender Abendröthe ging ich und übersah alle Lande ich war frei im Herzen, denn meine Liebe zu Dir macht mich frei. -- So was beengt mich zuweilen, wie damals die erfrischende Luft mich kräftig, ja beinah gescheut machte, daß ich nicht immer geh im- mer wandre unter freiem Himmel, und mit der Natur spreche. Ein Sturmwind nimmt in größter Schnelle ganze Thäler ein, alles berührt er, alles bewegt er, und der es empfindet wird von Begeistrung ergriffen. Die gewaltige Natur läßt keinen Raum und bedarf keinen Raum, was sie mit ihrem Zauberkreis umschlingt das ist herein gebannt. O Goethe Du bist auch hinein ge- bannt, in keinem Wort in keinem Hauch deiner Gedichte läßt sie Dich los. -- Und wieder muß ich vor dieser Menschwerdung niederknieen, und muß Dich lieben und begehren wie alle Natur. --
Da wollt ich Dir noch viel sagen, ward abgerufen und heute am 29. Oktober komme ich wieder zum schrei-
zweifeln muß, ſondern daß mir Troſt von den Sternen niederleuchtet, jetzt wo wir nicht bei einander ſind. Vorm Jahr um dieſe Zeit da ging ich an einem Tag weit ſpa- zieren und blieb auf einem Berg ſitzen, da oben ſpielt ich mit dem glitzernden Sand den die Sonne beſchien, und knipſte den Saamen aus den verdorrten Stäud- chen, bei mit nebelkämpfender Abendröthe ging ich und überſah alle Lande ich war frei im Herzen, denn meine Liebe zu Dir macht mich frei. — So was beengt mich zuweilen, wie damals die erfriſchende Luft mich kräftig, ja beinah geſcheut machte, daß ich nicht immer geh im- mer wandre unter freiem Himmel, und mit der Natur ſpreche. Ein Sturmwind nimmt in größter Schnelle ganze Thäler ein, alles berührt er, alles bewegt er, und der es empfindet wird von Begeiſtrung ergriffen. Die gewaltige Natur läßt keinen Raum und bedarf keinen Raum, was ſie mit ihrem Zauberkreis umſchlingt das iſt herein gebannt. O Goethe Du biſt auch hinein ge- bannt, in keinem Wort in keinem Hauch deiner Gedichte läßt ſie Dich los. — Und wieder muß ich vor dieſer Menſchwerdung niederknieen, und muß Dich lieben und begehren wie alle Natur. —
Da wollt ich Dir noch viel ſagen, ward abgerufen und heute am 29. Oktober komme ich wieder zum ſchrei-
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zweifeln muß, ſondern daß mir Troſt von den Sternen
niederleuchtet, jetzt wo wir nicht bei einander ſind. Vorm
Jahr um dieſe Zeit da ging ich an einem Tag weit ſpa-
zieren und blieb auf einem Berg ſitzen, da oben ſpielt
ich mit dem glitzernden Sand den die Sonne beſchien,
und knipſte den Saamen aus den verdorrten Stäud-
chen, bei mit nebelkämpfender Abendröthe ging ich und
überſah alle Lande ich war frei im Herzen, denn meine
Liebe zu Dir macht mich frei. — So was beengt mich
zuweilen, wie damals die erfriſchende Luft mich kräftig,
ja beinah geſcheut machte, daß ich nicht immer geh im-
mer wandre unter freiem Himmel, und mit der Natur
ſpreche. Ein Sturmwind nimmt in größter Schnelle
ganze Thäler ein, alles berührt er, alles bewegt er, und
der es empfindet wird von Begeiſtrung ergriffen. Die
gewaltige Natur läßt keinen Raum und bedarf keinen
Raum, was ſie mit ihrem Zauberkreis umſchlingt das
iſt herein gebannt. O Goethe Du biſt auch hinein ge-
bannt, in keinem Wort in keinem Hauch deiner Gedichte
läßt ſie Dich los. — Und wieder muß ich vor dieſer
Menſchwerdung niederknieen, und muß Dich lieben und
begehren wie alle Natur. —
Da wollt ich Dir noch viel ſagen, ward abgerufen
und heute am 29. Oktober komme ich wieder zum ſchrei-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/243>, abgerufen am 24.11.2024.
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