Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

grad wie die Trauerschleppe einer erhabenen vergange-
nen Zeit die durch allen Schmutz des gemeinen Lebens
nachschleppt. -- Wenn ich mich bereite Dir zu schreiben,
und denke so in mich hinein, da fallen mir allemal die
einzelnen Momente meines Lebens ein, die so ruhig, so
auffaßlich in mich herein geklungen haben, wie allen-
falls einem Maler ähnliche Momente in der Natur wie-
der erscheinen wenn er mit Lust etwas malt; so gedenke
ich jetzt der Abenddämmerung im heißen Monat August
wie Du am Fenster saßest und ich vor Dir stand, und
wie wir Rede wechselten, ich hatte meinen Blick wie ein
Pfeil scharf Dir in's Auge gedrückt, und so blieb ich
drinn haften und bohrte mich immer tiefer und tiefer
ein und wir waren beide stille, und Du zogst meine auf-
gelößten Haare durch die Finger. Ach Goethe da frag-
test Du ob ich künftig deiner gedenken werde beim Licht
der Sterne, und ich hab es Dir versprochen und jetzt
haben wir Mitte Oktober und schon oft hab ich nach
den Sternen gesehen und habe deiner gedacht, und es
überläuft mich kalter Schauer, und Du der meinen
Blick dahin gebannt hat, denke doch wie oft ich noch
hinauf blicken werde, so schreib es denn auch täglich neu
in die Sterne daß Du mich liebst, damit ich nicht ver-

grad wie die Trauerſchleppe einer erhabenen vergange-
nen Zeit die durch allen Schmutz des gemeinen Lebens
nachſchleppt. — Wenn ich mich bereite Dir zu ſchreiben,
und denke ſo in mich hinein, da fallen mir allemal die
einzelnen Momente meines Lebens ein, die ſo ruhig, ſo
auffaßlich in mich herein geklungen haben, wie allen-
falls einem Maler ähnliche Momente in der Natur wie-
der erſcheinen wenn er mit Luſt etwas malt; ſo gedenke
ich jetzt der Abenddämmerung im heißen Monat Auguſt
wie Du am Fenſter ſaßeſt und ich vor Dir ſtand, und
wie wir Rede wechſelten, ich hatte meinen Blick wie ein
Pfeil ſcharf Dir in's Auge gedrückt, und ſo blieb ich
drinn haften und bohrte mich immer tiefer und tiefer
ein und wir waren beide ſtille, und Du zogſt meine auf-
gelößten Haare durch die Finger. Ach Goethe da frag-
teſt Du ob ich künftig deiner gedenken werde beim Licht
der Sterne, und ich hab es Dir verſprochen und jetzt
haben wir Mitte Oktober und ſchon oft hab ich nach
den Sternen geſehen und habe deiner gedacht, und es
überläuft mich kalter Schauer, und Du der meinen
Blick dahin gebannt hat, denke doch wie oft ich noch
hinauf blicken werde, ſo ſchreib es denn auch täglich neu
in die Sterne daß Du mich liebſt, damit ich nicht ver-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0242" n="232"/>
grad wie die Trauer&#x017F;chleppe einer erhabenen vergange-<lb/>
nen Zeit die durch allen Schmutz des gemeinen Lebens<lb/>
nach&#x017F;chleppt. &#x2014; Wenn ich mich bereite Dir zu &#x017F;chreiben,<lb/>
und denke &#x017F;o in mich hinein, da fallen mir allemal die<lb/>
einzelnen Momente meines Lebens ein, die &#x017F;o ruhig, &#x017F;o<lb/>
auffaßlich in mich herein geklungen haben, wie allen-<lb/>
falls einem Maler ähnliche Momente in der Natur wie-<lb/>
der er&#x017F;cheinen wenn er mit Lu&#x017F;t etwas malt; &#x017F;o gedenke<lb/>
ich jetzt der Abenddämmerung im heißen Monat Augu&#x017F;t<lb/>
wie Du am Fen&#x017F;ter &#x017F;aße&#x017F;t und ich vor Dir &#x017F;tand, und<lb/>
wie wir Rede wech&#x017F;elten, ich hatte meinen Blick wie ein<lb/>
Pfeil &#x017F;charf Dir in's Auge gedrückt, und &#x017F;o blieb ich<lb/>
drinn haften und bohrte mich immer tiefer und tiefer<lb/>
ein und wir waren beide &#x017F;tille, und Du zog&#x017F;t meine auf-<lb/>
gelößten Haare durch die Finger. Ach Goethe da frag-<lb/>
te&#x017F;t Du ob ich künftig deiner gedenken werde beim Licht<lb/>
der Sterne, und ich hab es Dir ver&#x017F;prochen und jetzt<lb/>
haben wir Mitte Oktober und &#x017F;chon oft hab ich nach<lb/>
den Sternen ge&#x017F;ehen und habe deiner gedacht, und es<lb/>
überläuft mich kalter Schauer, und Du der meinen<lb/>
Blick dahin gebannt hat, denke doch wie oft ich noch<lb/>
hinauf blicken werde, &#x017F;o &#x017F;chreib es denn auch täglich neu<lb/>
in die Sterne daß Du mich lieb&#x017F;t, damit ich nicht ver-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[232/0242] grad wie die Trauerſchleppe einer erhabenen vergange- nen Zeit die durch allen Schmutz des gemeinen Lebens nachſchleppt. — Wenn ich mich bereite Dir zu ſchreiben, und denke ſo in mich hinein, da fallen mir allemal die einzelnen Momente meines Lebens ein, die ſo ruhig, ſo auffaßlich in mich herein geklungen haben, wie allen- falls einem Maler ähnliche Momente in der Natur wie- der erſcheinen wenn er mit Luſt etwas malt; ſo gedenke ich jetzt der Abenddämmerung im heißen Monat Auguſt wie Du am Fenſter ſaßeſt und ich vor Dir ſtand, und wie wir Rede wechſelten, ich hatte meinen Blick wie ein Pfeil ſcharf Dir in's Auge gedrückt, und ſo blieb ich drinn haften und bohrte mich immer tiefer und tiefer ein und wir waren beide ſtille, und Du zogſt meine auf- gelößten Haare durch die Finger. Ach Goethe da frag- teſt Du ob ich künftig deiner gedenken werde beim Licht der Sterne, und ich hab es Dir verſprochen und jetzt haben wir Mitte Oktober und ſchon oft hab ich nach den Sternen geſehen und habe deiner gedacht, und es überläuft mich kalter Schauer, und Du der meinen Blick dahin gebannt hat, denke doch wie oft ich noch hinauf blicken werde, ſo ſchreib es denn auch täglich neu in die Sterne daß Du mich liebſt, damit ich nicht ver-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/242
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 232. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/242>, abgerufen am 24.11.2024.