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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835.

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wer aber dieser Stimme nicht horcht, der ist blind und
taub, und muß sich von andern hinführen lassen, wo
ihre Vorurtheile sie selbst hin verbannen. Ei, sagte sie:
ich wollte ja lieber vor der Welt zu Schanden werden,
als daß ich mich von Philisterhand über einen gefähr-
lichen Steig leiten ließ, am End ist auch gar nichts ge-
fährlich, als nur die Furcht selber, die bringt einem um
alles. Grad im letzten Jahr war sie am lebendigsten
und sprach über alles mit gleichem Antheil, aus den
einfachsten Gesprächen entwickelten sich die feierlichsten
und edelsten Wahrheiten, die einem für das ganze Le-
ben ein Talismann sein konnten; sie sagte: der Mensch
muß sich den besten Platz erwählen, und den muß er
behaupten sein Leben lang, und muß all seine Kräfte
dran setzen, dann nur ist er edel und wahrhaft groß.
Ich meine nicht einen äußern, sondern einen innern Eh-
renplatz, auf den uns stets diese innere Stimme hinweist,
könnten wir nur das Regiment führen in uns selbst wie
Napoleon das Regiment der Welt führt, da würde sich
die Welt mit jeder Generation erneuern und über sich
selbst hinausschwingen. So bleibt's immer beim alten,
weil's halt keiner in sich weiter treibt wie der vorige,
und da langweilt man sich schon, wenn man auch eben
erst angekommen ist, ja, man fühlt's gleich, wenn man's

wer aber dieſer Stimme nicht horcht, der iſt blind und
taub, und muß ſich von andern hinführen laſſen, wo
ihre Vorurtheile ſie ſelbſt hin verbannen. Ei, ſagte ſie:
ich wollte ja lieber vor der Welt zu Schanden werden,
als daß ich mich von Philiſterhand über einen gefähr-
lichen Steig leiten ließ, am End iſt auch gar nichts ge-
fährlich, als nur die Furcht ſelber, die bringt einem um
alles. Grad im letzten Jahr war ſie am lebendigſten
und ſprach über alles mit gleichem Antheil, aus den
einfachſten Geſprächen entwickelten ſich die feierlichſten
und edelſten Wahrheiten, die einem für das ganze Le-
ben ein Talismann ſein konnten; ſie ſagte: der Menſch
muß ſich den beſten Platz erwählen, und den muß er
behaupten ſein Leben lang, und muß all ſeine Kräfte
dran ſetzen, dann nur iſt er edel und wahrhaft groß.
Ich meine nicht einen äußern, ſondern einen innern Eh-
renplatz, auf den uns ſtets dieſe innere Stimme hinweiſt,
könnten wir nur das Regiment führen in uns ſelbſt wie
Napoleon das Regiment der Welt führt, da würde ſich
die Welt mit jeder Generation erneuern und über ſich
ſelbſt hinausſchwingen. So bleibt's immer beim alten,
weil's halt keiner in ſich weiter treibt wie der vorige,
und da langweilt man ſich ſchon, wenn man auch eben
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[214/0224] wer aber dieſer Stimme nicht horcht, der iſt blind und taub, und muß ſich von andern hinführen laſſen, wo ihre Vorurtheile ſie ſelbſt hin verbannen. Ei, ſagte ſie: ich wollte ja lieber vor der Welt zu Schanden werden, als daß ich mich von Philiſterhand über einen gefähr- lichen Steig leiten ließ, am End iſt auch gar nichts ge- fährlich, als nur die Furcht ſelber, die bringt einem um alles. Grad im letzten Jahr war ſie am lebendigſten und ſprach über alles mit gleichem Antheil, aus den einfachſten Geſprächen entwickelten ſich die feierlichſten und edelſten Wahrheiten, die einem für das ganze Le- ben ein Talismann ſein konnten; ſie ſagte: der Menſch muß ſich den beſten Platz erwählen, und den muß er behaupten ſein Leben lang, und muß all ſeine Kräfte dran ſetzen, dann nur iſt er edel und wahrhaft groß. Ich meine nicht einen äußern, ſondern einen innern Eh- renplatz, auf den uns ſtets dieſe innere Stimme hinweiſt, könnten wir nur das Regiment führen in uns ſelbſt wie Napoleon das Regiment der Welt führt, da würde ſich die Welt mit jeder Generation erneuern und über ſich ſelbſt hinausſchwingen. So bleibt's immer beim alten, weil's halt keiner in ſich weiter treibt wie der vorige, und da langweilt man ſich ſchon, wenn man auch eben erſt angekommen iſt, ja, man fühlt's gleich, wenn man's

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/224>, abgerufen am 27.11.2024.