ken, daß er ihre Offenbarungen ausströme, das ist das isolirende Prinzip der Kunst; von ihrer Offenbarung aufgelöst werden, das ist die Hingebung an das Gött- liche, was in Ruhe seine Herrschaft an dem Rasen ungebändigter Kräfte übt, und so der Phantasie die höchste Wirksamkeit verleihet. So vertritt die Kunst allemal die Gottheit, und das menschliche Verhältniß zu ihr ist Religion, was wir durch die Kunst erwerben, das ist von Gott, göttliche Eingebung, die den menschlichen Befähigungen ein Ziel steckt was er erreicht.
Wir wissen nicht was uns Erkenntniß verleihet; das fest verschloßne Saamenkorn bedarf des feuchten, elektrisch warmen Bodens, um zu treiben, zu denken, sich auszusprechen. Musik ist der elektrische Boden, in dem der Geist lebt, denkt, erfindet. Philosophie ist ein Niederschlag ihres elektrischen Geistes; ihre Bedürftig- keit, die alles auf ein Urprinzip gründen will, wird durch sie gehoben, und obschon der Geist dessen nicht mächtig ist was er durch sie erzeugt, so ist er doch glück- seelig in dieser Erzeugung, und so ist jede ächte Erzeu- gung der Kunst unabhängig, mächtiger als der Künstler selbst, und kehrt durch ihre Erscheinung zum Göttlichen zurück, und hängt nur darin mit dem Menschen zusam-
ken, daß er ihre Offenbarungen ausſtröme, das iſt das iſolirende Prinzip der Kunſt; von ihrer Offenbarung aufgelöſt werden, das iſt die Hingebung an das Gött- liche, was in Ruhe ſeine Herrſchaft an dem Raſen ungebändigter Kräfte übt, und ſo der Phantaſie die höchſte Wirkſamkeit verleihet. So vertritt die Kunſt allemal die Gottheit, und das menſchliche Verhältniß zu ihr iſt Religion, was wir durch die Kunſt erwerben, das iſt von Gott, göttliche Eingebung, die den menſchlichen Befähigungen ein Ziel ſteckt was er erreicht.
Wir wiſſen nicht was uns Erkenntniß verleihet; das feſt verſchloßne Saamenkorn bedarf des feuchten, elektriſch warmen Bodens, um zu treiben, zu denken, ſich auszuſprechen. Muſik iſt der elektriſche Boden, in dem der Geiſt lebt, denkt, erfindet. Philoſophie iſt ein Niederſchlag ihres elektriſchen Geiſtes; ihre Bedürftig- keit, die alles auf ein Urprinzip gründen will, wird durch ſie gehoben, und obſchon der Geiſt deſſen nicht mächtig iſt was er durch ſie erzeugt, ſo iſt er doch glück- ſeelig in dieſer Erzeugung, und ſo iſt jede ächte Erzeu- gung der Kunſt unabhängig, mächtiger als der Künſtler ſelbſt, und kehrt durch ihre Erſcheinung zum Göttlichen zurück, und hängt nur darin mit dem Menſchen zuſam-
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ken, daß er ihre Offenbarungen ausſtröme, das iſt das
iſolirende Prinzip der Kunſt; von ihrer Offenbarung
aufgelöſt werden, das iſt die Hingebung an das Gött-
liche, was in Ruhe ſeine Herrſchaft an dem Raſen
ungebändigter Kräfte übt, und ſo der Phantaſie die
höchſte Wirkſamkeit verleihet. So vertritt die Kunſt
allemal die Gottheit, und das menſchliche Verhältniß zu
ihr iſt Religion, was wir durch die Kunſt erwerben, das
iſt von Gott, göttliche Eingebung, die den menſchlichen
Befähigungen ein Ziel ſteckt was er erreicht.
Wir wiſſen nicht was uns Erkenntniß verleihet;
das feſt verſchloßne Saamenkorn bedarf des feuchten,
elektriſch warmen Bodens, um zu treiben, zu denken,
ſich auszuſprechen. Muſik iſt der elektriſche Boden, in
dem der Geiſt lebt, denkt, erfindet. Philoſophie iſt ein
Niederſchlag ihres elektriſchen Geiſtes; ihre Bedürftig-
keit, die alles auf ein Urprinzip gründen will, wird
durch ſie gehoben, und obſchon der Geiſt deſſen nicht
mächtig iſt was er durch ſie erzeugt, ſo iſt er doch glück-
ſeelig in dieſer Erzeugung, und ſo iſt jede ächte Erzeu-
gung der Kunſt unabhängig, mächtiger als der Künſtler
ſelbſt, und kehrt durch ihre Erſcheinung zum Göttlichen
zurück, und hängt nur darin mit dem Menſchen zuſam-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/208>, abgerufen am 23.11.2024.
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