Pilger zog mich mit sich fort zur gegenüberstehenden Thür hinaus, ich wartete lange auf das Kind, ich hätte es so gern geküßt, und wollte ihm eine kleine goldne Kette schenken, die ich am Hals trage, weil es mir ein so gutes Zeichen gegeben hatte für Dich, denn ich dachte grade in dem Augenblick, wo es mir den Kranz abnahm, an Dich, aber das Kindchen kam nicht heraus, der Wa- gen stand vor der Thür, ich schwang mich auf meinen Kutschersitz, auf jeder Station hatte ich einen andern Kameraden, der den Sitz mit mir theilte und zugleich mir seine Herzensangelegenheiten mittheilte, sie fingen immer so schüchtern davon an, daß mir bange ward, aber weit gefehlt, allemal war's eine andre, keinmal war ich's.
Unsre Reise ging durch einen Wald von Blüthen, der Wind streute sie wie einen Regen nieder, die Bie- nen flogen nach den Blumen, die ich hinter's Ohr ge- steckt hatte, gelt, das war angenehm! --
26. Mai.
Von Salzburg muß ich Dir noch erzählen. Die letzte Station, vorher Laufen, diesmal saß Freiberg mit mir auf dem Kutschersitz, er öffnete lächelnd seinen Mund,
Pilger zog mich mit ſich fort zur gegenüberſtehenden Thür hinaus, ich wartete lange auf das Kind, ich hätte es ſo gern geküßt, und wollte ihm eine kleine goldne Kette ſchenken, die ich am Hals trage, weil es mir ein ſo gutes Zeichen gegeben hatte für Dich, denn ich dachte grade in dem Augenblick, wo es mir den Kranz abnahm, an Dich, aber das Kindchen kam nicht heraus, der Wa- gen ſtand vor der Thür, ich ſchwang mich auf meinen Kutſcherſitz, auf jeder Station hatte ich einen andern Kameraden, der den Sitz mit mir theilte und zugleich mir ſeine Herzensangelegenheiten mittheilte, ſie fingen immer ſo ſchüchtern davon an, daß mir bange ward, aber weit gefehlt, allemal war's eine andre, keinmal war ich's.
Unſre Reiſe ging durch einen Wald von Blüthen, der Wind ſtreute ſie wie einen Regen nieder, die Bie- nen flogen nach den Blumen, die ich hinter's Ohr ge- ſteckt hatte, gelt, das war angenehm! —
26. Mai.
Von Salzburg muß ich Dir noch erzählen. Die letzte Station, vorher Laufen, diesmal ſaß Freiberg mit mir auf dem Kutſcherſitz, er öffnete lächelnd ſeinen Mund,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0195"n="185"/>
Pilger zog mich mit ſich fort zur gegenüberſtehenden<lb/>
Thür hinaus, ich wartete lange auf das Kind, ich hätte<lb/>
es ſo gern geküßt, und wollte ihm eine kleine goldne<lb/>
Kette ſchenken, die ich am Hals trage, weil es mir ein<lb/>ſo gutes Zeichen gegeben hatte für Dich, denn ich dachte<lb/>
grade in dem Augenblick, wo es mir den Kranz abnahm,<lb/>
an Dich, aber das Kindchen kam nicht heraus, der Wa-<lb/>
gen ſtand vor der Thür, ich ſchwang mich auf meinen<lb/>
Kutſcherſitz, auf jeder Station hatte ich einen andern<lb/>
Kameraden, der den Sitz mit mir theilte und zugleich<lb/>
mir ſeine Herzensangelegenheiten mittheilte, ſie fingen<lb/>
immer ſo ſchüchtern davon an, daß mir bange ward,<lb/>
aber weit gefehlt, allemal war's eine andre, keinmal<lb/>
war ich's.</p><lb/><p>Unſre Reiſe ging durch einen Wald von Blüthen,<lb/>
der Wind ſtreute ſie wie einen Regen nieder, die Bie-<lb/>
nen flogen nach den Blumen, die ich hinter's Ohr ge-<lb/>ſteckt hatte, gelt, das war angenehm! —</p></div><lb/><divn="2"><dateline><hirendition="#et">26. Mai.</hi></dateline><lb/><p>Von Salzburg muß ich Dir noch erzählen. Die<lb/>
letzte Station, vorher Laufen, diesmal ſaß Freiberg mit<lb/>
mir auf dem Kutſcherſitz, er öffnete lächelnd ſeinen Mund,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[185/0195]
Pilger zog mich mit ſich fort zur gegenüberſtehenden
Thür hinaus, ich wartete lange auf das Kind, ich hätte
es ſo gern geküßt, und wollte ihm eine kleine goldne
Kette ſchenken, die ich am Hals trage, weil es mir ein
ſo gutes Zeichen gegeben hatte für Dich, denn ich dachte
grade in dem Augenblick, wo es mir den Kranz abnahm,
an Dich, aber das Kindchen kam nicht heraus, der Wa-
gen ſtand vor der Thür, ich ſchwang mich auf meinen
Kutſcherſitz, auf jeder Station hatte ich einen andern
Kameraden, der den Sitz mit mir theilte und zugleich
mir ſeine Herzensangelegenheiten mittheilte, ſie fingen
immer ſo ſchüchtern davon an, daß mir bange ward,
aber weit gefehlt, allemal war's eine andre, keinmal
war ich's.
Unſre Reiſe ging durch einen Wald von Blüthen,
der Wind ſtreute ſie wie einen Regen nieder, die Bie-
nen flogen nach den Blumen, die ich hinter's Ohr ge-
ſteckt hatte, gelt, das war angenehm! —
26. Mai.
Von Salzburg muß ich Dir noch erzählen. Die
letzte Station, vorher Laufen, diesmal ſaß Freiberg mit
mir auf dem Kutſcherſitz, er öffnete lächelnd ſeinen Mund,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 185. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/195>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.