willst, die ganze Welt soll mit Dir trauern, und sie ge- horcht weinend deinem Wink. Aber ich, Goethe, hab auch ein Gelübde gethan; Du scheinst mich frei zu ge- ben in deinem Verdruß, lauf hin, sagst Du zu mir und such Dir Blumen, und dann verschließst Du Dich in die innerste Wehmuth deiner Empfindung, ja, das will ich, Goethe! -- Das ist mein Gelübde, ich will Blumen su- chen, heitere Gewinde sollen deine Pforte schmücken, und wenn dein Fuß strauchelt, so sind es Kränze, die ich Dir auf die Schwelle gelegt, und wenn Du träumst, so ist es der Balsam magischer Blüthen, der Dich betäubt; Blumen einer fernen fremden Welt, wo ich nicht fremd bin wie hier, in dem Buch, wo ein gieriger Tieger das feine Gebild geistiger Liebe verschlingt; ich verstehe es nicht, dieses grausame Räthsel, ich begreife nicht, warum sie alle sich unglücklich machen, warum sie alle einem tückischen Dämon mit stachelichem Scepter dienen; und Charlotte, die ihm täglich, ja stündlich Weihrauch streut, die mit mathematischer Consequenz das Unglück für alle vorbereitet. Ist die Liebe nicht frei? -- sind jene beiden nicht verwandt? -- warum will sie es ihnen wehren dies unschuldige Leben mit und neben einander? Zwil- linge sind sie; in einander verschränkt reifen sie der Ge- burt in's Licht entgegen, und sie will diese Keime tren-
willſt, die ganze Welt ſoll mit Dir trauern, und ſie ge- horcht weinend deinem Wink. Aber ich, Goethe, hab auch ein Gelübde gethan; Du ſcheinſt mich frei zu ge- ben in deinem Verdruß, lauf hin, ſagſt Du zu mir und ſuch Dir Blumen, und dann verſchließſt Du Dich in die innerſte Wehmuth deiner Empfindung, ja, das will ich, Goethe! — Das iſt mein Gelübde, ich will Blumen ſu- chen, heitere Gewinde ſollen deine Pforte ſchmücken, und wenn dein Fuß ſtrauchelt, ſo ſind es Kränze, die ich Dir auf die Schwelle gelegt, und wenn Du träumſt, ſo iſt es der Balſam magiſcher Blüthen, der Dich betäubt; Blumen einer fernen fremden Welt, wo ich nicht fremd bin wie hier, in dem Buch, wo ein gieriger Tieger das feine Gebild geiſtiger Liebe verſchlingt; ich verſtehe es nicht, dieſes grauſame Räthſel, ich begreife nicht, warum ſie alle ſich unglücklich machen, warum ſie alle einem tückiſchen Dämon mit ſtachelichem Scepter dienen; und Charlotte, die ihm täglich, ja ſtündlich Weihrauch ſtreut, die mit mathematiſcher Conſequenz das Unglück für alle vorbereitet. Iſt die Liebe nicht frei? — ſind jene beiden nicht verwandt? — warum will ſie es ihnen wehren dies unſchuldige Leben mit und neben einander? Zwil- linge ſind ſie; in einander verſchränkt reifen ſie der Ge- burt in's Licht entgegen, und ſie will dieſe Keime tren-
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willſt, die ganze Welt ſoll mit Dir trauern, und ſie ge-
horcht weinend deinem Wink. Aber ich, Goethe, hab
auch ein Gelübde gethan; Du ſcheinſt mich frei zu ge-
ben in deinem Verdruß, lauf hin, ſagſt Du zu mir und
ſuch Dir Blumen, und dann verſchließſt Du Dich in die
innerſte Wehmuth deiner Empfindung, ja, das will ich,
Goethe! — Das iſt mein Gelübde, ich will Blumen ſu-
chen, heitere Gewinde ſollen deine Pforte ſchmücken, und
wenn dein Fuß ſtrauchelt, ſo ſind es Kränze, die ich
Dir auf die Schwelle gelegt, und wenn Du träumſt, ſo
iſt es der Balſam magiſcher Blüthen, der Dich betäubt;
Blumen einer fernen fremden Welt, wo ich nicht fremd
bin wie hier, in dem Buch, wo ein gieriger Tieger das
feine Gebild geiſtiger Liebe verſchlingt; ich verſtehe es
nicht, dieſes grauſame Räthſel, ich begreife nicht, warum
ſie alle ſich unglücklich machen, warum ſie alle einem
tückiſchen Dämon mit ſtachelichem Scepter dienen; und
Charlotte, die ihm täglich, ja ſtündlich Weihrauch ſtreut,
die mit mathematiſcher Conſequenz das Unglück für alle
vorbereitet. Iſt die Liebe nicht frei? — ſind jene beiden
nicht verwandt? — warum will ſie es ihnen wehren
dies unſchuldige Leben mit und neben einander? Zwil-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 2. Berlin, 1835, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe02_1835/146>, abgerufen am 24.11.2024.
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