den, wo ich ihn zuerst gesehen, wo am Fenster der Weinstock, von seiner Hand geordnet, hinaufwächst, wo er auf dem Strohsessel sitzt und mich in seinen Ar- men hält; da läßt er keinen Fremden ein, und da weiß er auch von nichts als nur von mir allein. Frau Rath! Sie ist seine Mutter, und Ihr sag' ich's: wie ich ihn zum ersten Mal gesehen hatte, und ich kam nach Haus, da fand ich, daß ein Haar von seinem Haupt auf meine Schulter gefallen war. Ich ver- brannte es am Licht, und mein Herz war ergriffen, daß es auch in Flammen ausschlug, aber so heiter, so lustig, wie die Flammen in blauer, sonnenheller Luft, die man kaum gewahr wird, und die ohne Rauch ihr Opfer verzehrt. So wird mir's auch gehen: mein Le- ben lang werde ich lustig in die Lüfte flackern, und die Leute werden nicht wissen woher sich diese Lust schreibt; es ist nur, weil ich weiß, daß wenn ich zu ihm komme, er allein mit mir sein will und alle Lor- beerkränze vergißt.
Leb' Sie wohl und schreib' Sie ihm von mir.
Goe-
den, wo ich ihn zuerſt geſehen, wo am Fenſter der Weinſtock, von ſeiner Hand geordnet, hinaufwächſt, wo er auf dem Strohſeſſel ſitzt und mich in ſeinen Ar- men hält; da läßt er keinen Fremden ein, und da weiß er auch von nichts als nur von mir allein. Frau Rath! Sie iſt ſeine Mutter, und Ihr ſag' ich's: wie ich ihn zum erſten Mal geſehen hatte, und ich kam nach Haus, da fand ich, daß ein Haar von ſeinem Haupt auf meine Schulter gefallen war. Ich ver- brannte es am Licht, und mein Herz war ergriffen, daß es auch in Flammen ausſchlug, aber ſo heiter, ſo luſtig, wie die Flammen in blauer, ſonnenheller Luft, die man kaum gewahr wird, und die ohne Rauch ihr Opfer verzehrt. So wird mir's auch gehen: mein Le- ben lang werde ich luſtig in die Lüfte flackern, und die Leute werden nicht wiſſen woher ſich dieſe Luſt ſchreibt; es iſt nur, weil ich weiß, daß wenn ich zu ihm komme, er allein mit mir ſein will und alle Lor- beerkränze vergißt.
Leb' Sie wohl und ſchreib' Sie ihm von mir.
Goe-
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den, wo ich ihn zuerſt geſehen, wo am Fenſter der
Weinſtock, von ſeiner Hand geordnet, hinaufwächſt,
wo er auf dem Strohſeſſel ſitzt und mich in ſeinen Ar-
men hält; da läßt er keinen Fremden ein, und da
weiß er auch von nichts als nur von mir allein. Frau
Rath! Sie iſt ſeine Mutter, und Ihr ſag' ich's: wie
ich ihn zum erſten Mal geſehen hatte, und ich kam
nach Haus, da fand ich, daß ein Haar von ſeinem
Haupt auf meine Schulter gefallen war. Ich ver-
brannte es am Licht, und mein Herz war ergriffen,
daß es auch in Flammen ausſchlug, aber ſo heiter, ſo
luſtig, wie die Flammen in blauer, ſonnenheller Luft,
die man kaum gewahr wird, und die ohne Rauch ihr
Opfer verzehrt. So wird mir's auch gehen: mein Le-
ben lang werde ich luſtig in die Lüfte flackern, und
die Leute werden nicht wiſſen woher ſich dieſe Luſt
ſchreibt; es iſt nur, weil ich weiß, daß wenn ich zu
ihm komme, er allein mit mir ſein will und alle Lor-
beerkränze vergißt.
Leb' Sie wohl und ſchreib' Sie ihm von mir.
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/56>, abgerufen am 18.12.2024.
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