in die goldne Freiheit, über den großen stolzen Rhein hinüber; der Wirth sagte, das war dumm; und ich war sehr beschämt.
Ach, Fr. Mutter! Was ist hier in dem Langen- winkel für ein wunderlich Leben; das soll schöne Natur sein und ist es auch gewiß, ich hab' nur keinen Ver- stand es zu erkennen. Eh' meine Augen hinüber auf den Johannisberg schweifen, werden sie von ein paar schmutzigen Gassen in Beschlag genommen, und von einem langen Feld raupenfräßiger Quetschen- und Birn- bäume. Aus jedem Gaubloch hängen Perlenschnüre von getrockneten Schnitzeln und Hutzeln; der Lohgerber ge- gen uns über, durchdampft alle Wohlgerüche der Luft; alle fünf Sinne gehören dazu, um etwas in seiner Schönheit zu empfinden, und wenn auch die ganze Natur noch so sehr entzückend wär' und ihr Duft führte nicht auch den Beweis, so wär' der Prozeß verloren.
Die Orgel klingt auch ganz fa[l]sch hier in der Kirche. Man mußte von Fr. bis Winckel reisen, um eine so grobe Disharmonie zu Ehren Gottes aufführen zu hören.
Leb' Sie recht wohl. Bettine.
in die goldne Freiheit, über den großen ſtolzen Rhein hinüber; der Wirth ſagte, das war dumm; und ich war ſehr beſchämt.
Ach, Fr. Mutter! Was iſt hier in dem Langen- winkel für ein wunderlich Leben; das ſoll ſchöne Natur ſein und iſt es auch gewiß, ich hab' nur keinen Ver- ſtand es zu erkennen. Eh' meine Augen hinüber auf den Johannisberg ſchweifen, werden ſie von ein paar ſchmutzigen Gaſſen in Beſchlag genommen, und von einem langen Feld raupenfräßiger Quetſchen- und Birn- bäume. Aus jedem Gaubloch hängen Perlenſchnüre von getrockneten Schnitzeln und Hutzeln; der Lohgerber ge- gen uns über, durchdampft alle Wohlgerüche der Luft; alle fünf Sinne gehören dazu, um etwas in ſeiner Schönheit zu empfinden, und wenn auch die ganze Natur noch ſo ſehr entzückend wär' und ihr Duft führte nicht auch den Beweis, ſo wär' der Prozeß verloren.
Die Orgel klingt auch ganz fa[l]ſch hier in der Kirche. Man mußte von Fr. bis Winckel reiſen, um eine ſo grobe Disharmonie zu Ehren Gottes aufführen zu hören.
Leb' Sie recht wohl. Bettine.
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in die goldne Freiheit, über den großen ſtolzen Rhein
hinüber; der Wirth ſagte, das war dumm; und ich
war ſehr beſchämt.
Ach, Fr. Mutter! Was iſt hier in dem Langen-
winkel für ein wunderlich Leben; das ſoll ſchöne Natur
ſein und iſt es auch gewiß, ich hab' nur keinen Ver-
ſtand es zu erkennen. Eh' meine Augen hinüber auf
den Johannisberg ſchweifen, werden ſie von ein paar
ſchmutzigen Gaſſen in Beſchlag genommen, und von
einem langen Feld raupenfräßiger Quetſchen- und Birn-
bäume. Aus jedem Gaubloch hängen Perlenſchnüre von
getrockneten Schnitzeln und Hutzeln; der Lohgerber ge-
gen uns über, durchdampft alle Wohlgerüche der Luft;
alle fünf Sinne gehören dazu, um etwas in ſeiner
Schönheit zu empfinden, und wenn auch die ganze
Natur noch ſo ſehr entzückend wär' und ihr Duft
führte nicht auch den Beweis, ſo wär' der Prozeß
verloren.
Die Orgel klingt auch ganz falſch hier in der
Kirche. Man mußte von Fr. bis Winckel reiſen, um
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zu hören.
Leb' Sie recht wohl.
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 21. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/53>, abgerufen am 22.11.2024.
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