Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

Bild:
<< vorherige Seite

mein heimlichstes Herz vertraue; -- ich muß wohl je-
mand haben, dem ich's mittheile. Wer ein schön Ge-
sicht hat, der will es im Spiegel sehen, Sie ist der
Spiegel meines Glücks, und das ist grade jetzt in sei-
ner schönsten Blüthe, und da muß es denn der Spie-
gel oft in sich aufnehmen. Ich bitte Sie, klatsch' Sie
ihrem Herrn Sohn im nächsten Brief, den Sie gleich
morgen schreiben kann, und nicht erst eine Gelegenheit
abzuwarten braucht, daß ich dem Veilchenstrauß in der
Schachtel in kühler Mondnacht nachgeschwommen bin,
wohl eine Viertelstunde lang, so lang' war es aber
nicht, und daß die Wellen mich wie eine Wassergöttin
dahingetragen haben, -- es waren aber keine Wellen,
es war nur seichtes Wasser, das kaum die leichten
Schachteln hob, und daß mein Gewand aufgebauscht
war um mich her wie ein Ballon. Was sind denn die
Reifröcke seiner Jugendliebschaften alle gegen mein da-
hinschwimmendes Gewand! sag' Sie doch nicht, Ihr
Herr Sohn sei zu gut für mich, um einen Veilchen-
strauß solche Lebensgefahr zu laufen! Ich schließ' mich
an die Epoche der empfindsamen Romane, und komme
glücklich im Werther an, wo ich denn gleich die Lotte
zur Thür hinauswerfen möchte. Ihr Herr Sohn hat
einen schlechten Geschmack an dem weißen Kleide mit

mein heimlichſtes Herz vertraue; — ich muß wohl je-
mand haben, dem ich's mittheile. Wer ein ſchön Ge-
ſicht hat, der will es im Spiegel ſehen, Sie iſt der
Spiegel meines Glücks, und das iſt grade jetzt in ſei-
ner ſchönſten Blüthe, und da muß es denn der Spie-
gel oft in ſich aufnehmen. Ich bitte Sie, klatſch' Sie
ihrem Herrn Sohn im nächſten Brief, den Sie gleich
morgen ſchreiben kann, und nicht erſt eine Gelegenheit
abzuwarten braucht, daß ich dem Veilchenſtrauß in der
Schachtel in kühler Mondnacht nachgeſchwommen bin,
wohl eine Viertelſtunde lang, ſo lang' war es aber
nicht, und daß die Wellen mich wie eine Waſſergöttin
dahingetragen haben, — es waren aber keine Wellen,
es war nur ſeichtes Waſſer, das kaum die leichten
Schachteln hob, und daß mein Gewand aufgebauſcht
war um mich her wie ein Ballon. Was ſind denn die
Reifröcke ſeiner Jugendliebſchaften alle gegen mein da-
hinſchwimmendes Gewand! ſag' Sie doch nicht, Ihr
Herr Sohn ſei zu gut für mich, um einen Veilchen-
ſtrauß ſolche Lebensgefahr zu laufen! Ich ſchließ' mich
an die Epoche der empfindſamen Romane, und komme
glücklich im Werther an, wo ich denn gleich die Lotte
zur Thür hinauswerfen möchte. Ihr Herr Sohn hat
einen ſchlechten Geſchmack an dem weißen Kleide mit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0048" n="16"/>
mein heimlich&#x017F;tes Herz vertraue; &#x2014; ich muß wohl je-<lb/>
mand haben, dem ich's mittheile. Wer ein &#x017F;chön Ge-<lb/>
&#x017F;icht hat, der will es im Spiegel &#x017F;ehen, Sie i&#x017F;t der<lb/>
Spiegel meines Glücks, und <hi rendition="#g">das</hi> i&#x017F;t grade jetzt in &#x017F;ei-<lb/>
ner &#x017F;chön&#x017F;ten Blüthe, und da muß es denn der Spie-<lb/>
gel oft in &#x017F;ich aufnehmen. Ich bitte Sie, klat&#x017F;ch' Sie<lb/>
ihrem Herrn Sohn im näch&#x017F;ten Brief, den Sie gleich<lb/>
morgen &#x017F;chreiben kann, und nicht er&#x017F;t eine Gelegenheit<lb/>
abzuwarten braucht, daß ich dem Veilchen&#x017F;trauß in der<lb/>
Schachtel in kühler Mondnacht nachge&#x017F;chwommen bin,<lb/>
wohl eine Viertel&#x017F;tunde lang, &#x017F;o lang' war es aber<lb/>
nicht, und daß die Wellen mich wie eine Wa&#x017F;&#x017F;ergöttin<lb/>
dahingetragen haben, &#x2014; es waren aber keine Wellen,<lb/>
es war nur &#x017F;eichtes Wa&#x017F;&#x017F;er, das kaum die leichten<lb/>
Schachteln hob, und daß mein Gewand aufgebau&#x017F;cht<lb/>
war um mich her wie ein Ballon. Was &#x017F;ind denn die<lb/>
Reifröcke &#x017F;einer Jugendlieb&#x017F;chaften alle gegen mein da-<lb/>
hin&#x017F;chwimmendes Gewand! &#x017F;ag' Sie doch nicht, Ihr<lb/>
Herr Sohn &#x017F;ei zu gut für mich, um einen Veilchen-<lb/>
&#x017F;trauß &#x017F;olche Lebensgefahr zu laufen! Ich &#x017F;chließ' mich<lb/>
an die Epoche der empfind&#x017F;amen Romane, und komme<lb/>
glücklich im Werther an, wo ich denn gleich die Lotte<lb/>
zur Thür hinauswerfen möchte. Ihr Herr Sohn hat<lb/>
einen &#x017F;chlechten Ge&#x017F;chmack an dem weißen Kleide mit<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[16/0048] mein heimlichſtes Herz vertraue; — ich muß wohl je- mand haben, dem ich's mittheile. Wer ein ſchön Ge- ſicht hat, der will es im Spiegel ſehen, Sie iſt der Spiegel meines Glücks, und das iſt grade jetzt in ſei- ner ſchönſten Blüthe, und da muß es denn der Spie- gel oft in ſich aufnehmen. Ich bitte Sie, klatſch' Sie ihrem Herrn Sohn im nächſten Brief, den Sie gleich morgen ſchreiben kann, und nicht erſt eine Gelegenheit abzuwarten braucht, daß ich dem Veilchenſtrauß in der Schachtel in kühler Mondnacht nachgeſchwommen bin, wohl eine Viertelſtunde lang, ſo lang' war es aber nicht, und daß die Wellen mich wie eine Waſſergöttin dahingetragen haben, — es waren aber keine Wellen, es war nur ſeichtes Waſſer, das kaum die leichten Schachteln hob, und daß mein Gewand aufgebauſcht war um mich her wie ein Ballon. Was ſind denn die Reifröcke ſeiner Jugendliebſchaften alle gegen mein da- hinſchwimmendes Gewand! ſag' Sie doch nicht, Ihr Herr Sohn ſei zu gut für mich, um einen Veilchen- ſtrauß ſolche Lebensgefahr zu laufen! Ich ſchließ' mich an die Epoche der empfindſamen Romane, und komme glücklich im Werther an, wo ich denn gleich die Lotte zur Thür hinauswerfen möchte. Ihr Herr Sohn hat einen ſchlechten Geſchmack an dem weißen Kleide mit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/48
Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/48>, abgerufen am 24.11.2024.