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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Frau Rath, so oft mir was Komisches begegnet,
so denk' ich an Sie, und was das für ein Jubel und
für eine Erzählung sein würde, wenn Sie es selbst er-
lebt hätte. Hier, in dem traubenreichen Mildeberg, sitze
ich bei meinem Herrn Schwab, der ehmals bei unserm
Vater Schreiber war und uns Kinder alle mit seinen
Märchen großgezogen hat. Er kann zum wenigsten so
gut erzählen wie Sie, aber er schneidet auf und ver-
braucht Juden- und Heidenthum, die entdeckte und un-
entdeckte Welt zur Decoration seiner Abentheuer; Sie
aber bleibt bei der Wahrheit, aber mit so freudigen
Ausrufungszeichen, daß man Wunder denkt was passirt
ist. Ich habe das Eichhörnchen, was Sie mir mitgab,
im großen Eichenwald ins Freie gesetzt, es war Zeit --
die 5 Meilen die es im Wagen fuhr, hat es großen
Schaden gemacht, und im Wirthshaus hat es über
Nacht dem Bürgermeister die Pantoffel zerfressen. Ich
weiß gar nicht wie Sie es gemacht hat, daß es Ihr
nicht alle Gläser umgeworfen, alle Möbel angenagt,
und alle Hauben und Tocken beschmutzt hat. Mich hat's
gebissen, aber im Andenken an den schönen stolzen


Frau Rath, ſo oft mir was Komiſches begegnet,
ſo denk' ich an Sie, und was das für ein Jubel und
für eine Erzählung ſein würde, wenn Sie es ſelbſt er-
lebt hätte. Hier, in dem traubenreichen Mildeberg, ſitze
ich bei meinem Herrn Schwab, der ehmals bei unſerm
Vater Schreiber war und uns Kinder alle mit ſeinen
Märchen großgezogen hat. Er kann zum wenigſten ſo
gut erzählen wie Sie, aber er ſchneidet auf und ver-
braucht Juden- und Heidenthum, die entdeckte und un-
entdeckte Welt zur Decoration ſeiner Abentheuer; Sie
aber bleibt bei der Wahrheit, aber mit ſo freudigen
Ausrufungszeichen, daß man Wunder denkt was paſſirt
iſt. Ich habe das Eichhörnchen, was Sie mir mitgab,
im großen Eichenwald ins Freie geſetzt, es war Zeit —
die 5 Meilen die es im Wagen fuhr, hat es großen
Schaden gemacht, und im Wirthshaus hat es über
Nacht dem Bürgermeiſter die Pantoffel zerfreſſen. Ich
weiß gar nicht wie Sie es gemacht hat, daß es Ihr
nicht alle Gläſer umgeworfen, alle Möbel angenagt,
und alle Hauben und Tocken beſchmutzt hat. Mich hat's
gebiſſen, aber im Andenken an den ſchönen ſtolzen

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[12/0044] September 1807. Frau Rath, ſo oft mir was Komiſches begegnet, ſo denk' ich an Sie, und was das für ein Jubel und für eine Erzählung ſein würde, wenn Sie es ſelbſt er- lebt hätte. Hier, in dem traubenreichen Mildeberg, ſitze ich bei meinem Herrn Schwab, der ehmals bei unſerm Vater Schreiber war und uns Kinder alle mit ſeinen Märchen großgezogen hat. Er kann zum wenigſten ſo gut erzählen wie Sie, aber er ſchneidet auf und ver- braucht Juden- und Heidenthum, die entdeckte und un- entdeckte Welt zur Decoration ſeiner Abentheuer; Sie aber bleibt bei der Wahrheit, aber mit ſo freudigen Ausrufungszeichen, daß man Wunder denkt was paſſirt iſt. Ich habe das Eichhörnchen, was Sie mir mitgab, im großen Eichenwald ins Freie geſetzt, es war Zeit — die 5 Meilen die es im Wagen fuhr, hat es großen Schaden gemacht, und im Wirthshaus hat es über Nacht dem Bürgermeiſter die Pantoffel zerfreſſen. Ich weiß gar nicht wie Sie es gemacht hat, daß es Ihr nicht alle Gläſer umgeworfen, alle Möbel angenagt, und alle Hauben und Tocken beſchmutzt hat. Mich hat's gebiſſen, aber im Andenken an den ſchönen ſtolzen

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/44>, abgerufen am 21.11.2024.