Stille. Zum wenigsten ich könnte nicht laut werden auf diesem heiligen Hausflur. Alles ist freundlich und doch feierlich. In den Zimmern ist die höchste Einfach- heit zu Hause, ach so einladend! Fürchte Dich nicht: sagten mir die bescheidnen Wände, er wird kommen und wird sein, und nicht mehr sein wollen wie Du, -- und da ging die Thür auf und da stand er feierlich ernst, und sah mich unverwandten Blickes an; ich streckte die Hände nach ihm, glaub' ich, -- bald wußt' ich nichts mehr, Goethe fing mich rasch auf an sein Herz. Armes Kind, hab' ich Sie er- schreckt, das waren die ersten Worte, mit denen seine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich in sein Zimmer und setzte mich auf den Sopha gegen sich über. Da waren wir beide stumm, endlich unterbrach er das Schweigen: Sie haben wohl in der Zeitung gelesen daß wir einen großen Verlust vor wenig Ta- gen erlitten haben durch den Tod der Herzogin Amalie. Ach! sagt' ich, ich lese die Zeitung nicht. -- So! -- ich habe geglaubt, alles interessire Sie, was in Wei- mar vorgehe. -- Nein, nichts interessirt mich als nur Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in der Zeitung zu blättern. -- Sie sind ein freundliches Kind. -- Lange Pause -- ich auf das fatale Sopha gebannt,
Stille. Zum wenigſten ich könnte nicht laut werden auf dieſem heiligen Hausflur. Alles iſt freundlich und doch feierlich. In den Zimmern iſt die höchſte Einfach- heit zu Hauſe, ach ſo einladend! Fürchte Dich nicht: ſagten mir die beſcheidnen Wände, er wird kommen und wird ſein, und nicht mehr ſein wollen wie Du, — und da ging die Thür auf und da ſtand er feierlich ernſt, und ſah mich unverwandten Blickes an; ich ſtreckte die Hände nach ihm, glaub' ich, — bald wußt' ich nichts mehr, Goethe fing mich raſch auf an ſein Herz. Armes Kind, hab' ich Sie er- ſchreckt, das waren die erſten Worte, mit denen ſeine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich in ſein Zimmer und ſetzte mich auf den Sopha gegen ſich über. Da waren wir beide ſtumm, endlich unterbrach er das Schweigen: Sie haben wohl in der Zeitung geleſen daß wir einen großen Verluſt vor wenig Ta- gen erlitten haben durch den Tod der Herzogin Amalie. Ach! ſagt' ich, ich leſe die Zeitung nicht. — So! — ich habe geglaubt, alles intereſſire Sie, was in Wei- mar vorgehe. — Nein, nichts intereſſirt mich als nur Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in der Zeitung zu blättern. — Sie ſind ein freundliches Kind. — Lange Pauſe — ich auf das fatale Sopha gebannt,
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0042"n="10"/>
Stille. Zum wenigſten <hirendition="#g">ich</hi> könnte nicht laut werden<lb/>
auf dieſem heiligen Hausflur. Alles iſt freundlich und<lb/>
doch feierlich. In den Zimmern iſt die höchſte Einfach-<lb/>
heit zu Hauſe, ach ſo einladend! Fürchte Dich nicht:<lb/>ſagten mir die beſcheidnen Wände, er wird kommen<lb/>
und wird ſein, und nicht <hirendition="#g">mehr</hi>ſein wollen wie<lb/>
Du, — und da ging die Thür auf und da ſtand er<lb/>
feierlich ernſt, und ſah mich unverwandten Blickes an;<lb/>
ich ſtreckte die Hände nach ihm, glaub' ich, — bald<lb/>
wußt' ich nichts mehr, Goethe fing mich raſch auf<lb/>
an ſein Herz. <hirendition="#g">Armes Kind, hab' ich Sie er-<lb/>ſchreckt</hi>, das waren die erſten Worte, mit denen<lb/>ſeine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich in<lb/>ſein Zimmer und ſetzte mich auf den Sopha gegen ſich<lb/>
über. Da waren wir beide ſtumm, endlich unterbrach<lb/>
er das Schweigen: Sie haben wohl in der Zeitung<lb/>
geleſen daß wir einen großen Verluſt vor wenig Ta-<lb/>
gen erlitten haben durch den Tod der Herzogin Amalie.<lb/>
Ach! ſagt' ich, ich leſe die Zeitung nicht. — So! —<lb/>
ich habe geglaubt, alles intereſſire Sie, was in Wei-<lb/>
mar vorgehe. — Nein, nichts intereſſirt mich als nur<lb/>
Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in der Zeitung<lb/>
zu blättern. — Sie ſind ein freundliches Kind. —<lb/>
Lange Pauſe — ich auf das fatale Sopha gebannt,<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[10/0042]
Stille. Zum wenigſten ich könnte nicht laut werden
auf dieſem heiligen Hausflur. Alles iſt freundlich und
doch feierlich. In den Zimmern iſt die höchſte Einfach-
heit zu Hauſe, ach ſo einladend! Fürchte Dich nicht:
ſagten mir die beſcheidnen Wände, er wird kommen
und wird ſein, und nicht mehr ſein wollen wie
Du, — und da ging die Thür auf und da ſtand er
feierlich ernſt, und ſah mich unverwandten Blickes an;
ich ſtreckte die Hände nach ihm, glaub' ich, — bald
wußt' ich nichts mehr, Goethe fing mich raſch auf
an ſein Herz. Armes Kind, hab' ich Sie er-
ſchreckt, das waren die erſten Worte, mit denen
ſeine Stimme mir in's Herz drang; er führte mich in
ſein Zimmer und ſetzte mich auf den Sopha gegen ſich
über. Da waren wir beide ſtumm, endlich unterbrach
er das Schweigen: Sie haben wohl in der Zeitung
geleſen daß wir einen großen Verluſt vor wenig Ta-
gen erlitten haben durch den Tod der Herzogin Amalie.
Ach! ſagt' ich, ich leſe die Zeitung nicht. — So! —
ich habe geglaubt, alles intereſſire Sie, was in Wei-
mar vorgehe. — Nein, nichts intereſſirt mich als nur
Sie, und da bin ich viel zu ungeduldig, in der Zeitung
zu blättern. — Sie ſind ein freundliches Kind. —
Lange Pauſe — ich auf das fatale Sopha gebannt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 10. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/42>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.