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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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nen Sitz. -- Da dacht' ich an ihn, wenn der mich in
seinen Jugendjahren so begegnet hätte, ob das nicht einen
poetischen Eindruck auf ihn gemacht haben würde, daß
er Lieder auf mich gemacht hätte und mich nimmermehr
vergessen. Jetzt mag er anders denken, -- er wird erhaben
sein über einen magischen Eindruck; höhere Eigenschaften
(wie soll ich die erwerben?) werden ein Recht über ihn be-
haupten. Wenn nicht Treue, -- ewige, an seine Schwelle
gebannt, mir endlich ihn erwirbt! So war ich in je-
ner kalten hellen Winternacht gestimmt, in der ich keine
Gelegenheit fand mein Gewehr loszuschießen, erst wie
der Tag anbrach, erhielt ich Erlaubniß loszudrücken;
der Wagen hielt und ich lief in den Wald und schoß
in die dichte Einsamkeit Ihrem Sohn zu Ehren muthig
los, indessen war die Axe gebrochen; wir fällten einen
Baum mit dem Beil, das wir bei uns hatten, und kne-
belten ihn mit Stricken fest; da fand denn mein Schwa-
ger daß ich sehr anstellig war, und lobte mich. So
ging's fort bis Magdeburg; präcis 7 Uhr Abends wird
die Festung gesperrt, wir kamen eine Minute nachher
und mußten bis den andern Morgen um sieben halten;
es war nicht sehr kalt, die beiden im Wagen schliefen.
In der Nacht fing's an zu schneien, ich hatte den
Mantel über den Kopf genommen und blieb ruhig

nen Sitz. — Da dacht' ich an ihn, wenn der mich in
ſeinen Jugendjahren ſo begegnet hätte, ob das nicht einen
poetiſchen Eindruck auf ihn gemacht haben würde, daß
er Lieder auf mich gemacht hätte und mich nimmermehr
vergeſſen. Jetzt mag er anders denken, — er wird erhaben
ſein über einen magiſchen Eindruck; höhere Eigenſchaften
(wie ſoll ich die erwerben?) werden ein Recht über ihn be-
haupten. Wenn nicht Treue, — ewige, an ſeine Schwelle
gebannt, mir endlich ihn erwirbt! So war ich in je-
ner kalten hellen Winternacht geſtimmt, in der ich keine
Gelegenheit fand mein Gewehr loszuſchießen, erſt wie
der Tag anbrach, erhielt ich Erlaubniß loszudrücken;
der Wagen hielt und ich lief in den Wald und ſchoß
in die dichte Einſamkeit Ihrem Sohn zu Ehren muthig
los, indeſſen war die Axe gebrochen; wir fällten einen
Baum mit dem Beil, das wir bei uns hatten, und kne-
belten ihn mit Stricken feſt; da fand denn mein Schwa-
ger daß ich ſehr anſtellig war, und lobte mich. So
ging's fort bis Magdeburg; präcis 7 Uhr Abends wird
die Feſtung geſperrt, wir kamen eine Minute nachher
und mußten bis den andern Morgen um ſieben halten;
es war nicht ſehr kalt, die beiden im Wagen ſchliefen.
In der Nacht fing's an zu ſchneien, ich hatte den
Mantel über den Kopf genommen und blieb ruhig

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[6/0038] nen Sitz. — Da dacht' ich an ihn, wenn der mich in ſeinen Jugendjahren ſo begegnet hätte, ob das nicht einen poetiſchen Eindruck auf ihn gemacht haben würde, daß er Lieder auf mich gemacht hätte und mich nimmermehr vergeſſen. Jetzt mag er anders denken, — er wird erhaben ſein über einen magiſchen Eindruck; höhere Eigenſchaften (wie ſoll ich die erwerben?) werden ein Recht über ihn be- haupten. Wenn nicht Treue, — ewige, an ſeine Schwelle gebannt, mir endlich ihn erwirbt! So war ich in je- ner kalten hellen Winternacht geſtimmt, in der ich keine Gelegenheit fand mein Gewehr loszuſchießen, erſt wie der Tag anbrach, erhielt ich Erlaubniß loszudrücken; der Wagen hielt und ich lief in den Wald und ſchoß in die dichte Einſamkeit Ihrem Sohn zu Ehren muthig los, indeſſen war die Axe gebrochen; wir fällten einen Baum mit dem Beil, das wir bei uns hatten, und kne- belten ihn mit Stricken feſt; da fand denn mein Schwa- ger daß ich ſehr anſtellig war, und lobte mich. So ging's fort bis Magdeburg; präcis 7 Uhr Abends wird die Feſtung geſperrt, wir kamen eine Minute nachher und mußten bis den andern Morgen um ſieben halten; es war nicht ſehr kalt, die beiden im Wagen ſchliefen. In der Nacht fing's an zu ſchneien, ich hatte den Mantel über den Kopf genommen und blieb ruhig

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 6. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/38>, abgerufen am 21.11.2024.