vor Lieb', und hat mir nie sonst Ruhe geglückt; aber in Deinen Armen, da kam der lang' verscheuchte Schlaf, und ich hatte kein ander Begehren; alles andre, woran ich mich angeklammert hatte und was ich glaubte zu lieben, das war's nicht; -- aber soll keiner sich hüten oder sich um sein Schicksal kümmern, wenn er das rechte liebt; sein Geist ist erfüllt, -- was nützt das andere! --
Den 18.
Wenn ich nun auch zu Dir kommen wollte, würde ich den rechten Weg finden? Da so viele neben einander herlaufen, so denk' ich immer, wenn ich an einem Weg- weiser vorübergehe, und bleibe oft stehen und bin trau- rig, daß er nicht zu Dir führt; und dann eil' ich nach Haus' und mein', ich hätte Dir viel zu schreiben! -- Ach, Ihr tiefen, tiefen Gedanken, die Ihr mit ihm spre- chen wollt, -- kommt aus meiner Brust hervor! aber ich fühl's in allen Adern, ich will Dich nur locken, ich will, ich muß Dich nur sehen.
Wenn man bei der Nacht im Freien geht, und hat die Abendseite vor sich: am äußersten Ende des dunkeln Himmels sieht man noch das letzte helle Gewand eines glänzenden Tags langsam abwärts ziehen -- so geht
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vor Lieb', und hat mir nie ſonſt Ruhe geglückt; aber in Deinen Armen, da kam der lang' verſcheuchte Schlaf, und ich hatte kein ander Begehren; alles andre, woran ich mich angeklammert hatte und was ich glaubte zu lieben, das war's nicht; — aber ſoll keiner ſich hüten oder ſich um ſein Schickſal kümmern, wenn er das rechte liebt; ſein Geiſt iſt erfüllt, — was nützt das andere! —
Den 18.
Wenn ich nun auch zu Dir kommen wollte, würde ich den rechten Weg finden? Da ſo viele neben einander herlaufen, ſo denk' ich immer, wenn ich an einem Weg- weiſer vorübergehe, und bleibe oft ſtehen und bin trau- rig, daß er nicht zu Dir führt; und dann eil' ich nach Hauſ' und mein', ich hätte Dir viel zu ſchreiben! — Ach, Ihr tiefen, tiefen Gedanken, die Ihr mit ihm ſpre- chen wollt, — kommt aus meiner Bruſt hervor! aber ich fühl's in allen Adern, ich will Dich nur locken, ich will, ich muß Dich nur ſehen.
Wenn man bei der Nacht im Freien geht, und hat die Abendſeite vor ſich: am äußerſten Ende des dunkeln Himmels ſieht man noch das letzte helle Gewand eines glänzenden Tags langſam abwärts ziehen — ſo geht
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vor Lieb', und hat mir nie ſonſt Ruhe geglückt; aber
in Deinen Armen, da kam der lang' verſcheuchte Schlaf,
und ich hatte kein ander Begehren; alles andre, woran
ich mich angeklammert hatte und was ich glaubte zu
lieben, das war's nicht; — aber ſoll keiner ſich hüten
oder ſich um ſein Schickſal kümmern, wenn er das rechte
liebt; ſein Geiſt iſt erfüllt, — was nützt das andere! —
Den 18.
Wenn ich nun auch zu Dir kommen wollte, würde ich
den rechten Weg finden? Da ſo viele neben einander
herlaufen, ſo denk' ich immer, wenn ich an einem Weg-
weiſer vorübergehe, und bleibe oft ſtehen und bin trau-
rig, daß er nicht zu Dir führt; und dann eil' ich nach
Hauſ' und mein', ich hätte Dir viel zu ſchreiben! —
Ach, Ihr tiefen, tiefen Gedanken, die Ihr mit ihm ſpre-
chen wollt, — kommt aus meiner Bruſt hervor! aber
ich fühl's in allen Adern, ich will Dich nur locken, ich
will, ich muß Dich nur ſehen.
Wenn man bei der Nacht im Freien geht, und hat
die Abendſeite vor ſich: am äußerſten Ende des dunkeln
Himmels ſieht man noch das letzte helle Gewand eines
glänzenden Tags langſam abwärts ziehen — ſo geht
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 345. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/377>, abgerufen am 22.12.2024.
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