und das Kreuz mit Trauben. Ach so viele Menschen haben große Paläste und prächtige Gärten; -- ich möchte nur diese einsame Rochuskapelle haben, und daß alles so schön fortwüchse, wie ich's eingepflanzt habe; -- vom Berg' hab' ich mit den Scherben die Erde los ge- graben und an die Rebe gelegt, und zweimal hab' ich unten am Rhein den Krug gefüllt, um ihn zu begießen; es ist wohl zum letztenmal, daß er Rheinwasser trinkt. -- Jetzt, nach beendigtem Werk, sitz' ich hier im Beicht- stuhl, und schreib' an Dich; die Bienen kommen alle hintereinander heim; sie sind schon ganz eingewohnt; -- könnt' ich einziehen in Dein Herz mit jedem Gedanken, so gefühlig, so süß summend, wie diese Bienen, beladen mit Honig und Blumenstaub, den ich von allen Feldern zusammen trage, und alles heim bringen zu Dir -- nicht wahr? --
Am 13. August.
"Alles hat seine Zeit!" sprech' ich mit dem Weisen; ich habe die Reben ihre Blätter entfalten sehen; ihre Blüthe hat mich betäubt und trunken gemacht; nun sie Laub haben und Früchte, muß ich Dich verlassen, du
und das Kreuz mit Trauben. Ach ſo viele Menſchen haben große Paläſte und prächtige Gärten; — ich möchte nur dieſe einſame Rochuskapelle haben, und daß alles ſo ſchön fortwüchſe, wie ich's eingepflanzt habe; — vom Berg' hab' ich mit den Scherben die Erde los ge- graben und an die Rebe gelegt, und zweimal hab' ich unten am Rhein den Krug gefüllt, um ihn zu begießen; es iſt wohl zum letztenmal, daß er Rheinwaſſer trinkt. — Jetzt, nach beendigtem Werk, ſitz' ich hier im Beicht- ſtuhl, und ſchreib' an Dich; die Bienen kommen alle hintereinander heim; ſie ſind ſchon ganz eingewohnt; — könnt' ich einziehen in Dein Herz mit jedem Gedanken, ſo gefühlig, ſo ſüß ſummend, wie dieſe Bienen, beladen mit Honig und Blumenſtaub, den ich von allen Feldern zuſammen trage, und alles heim bringen zu Dir — nicht wahr? —
Am 13. Auguſt.
„Alles hat ſeine Zeit!“ ſprech' ich mit dem Weiſen; ich habe die Reben ihre Blätter entfalten ſehen; ihre Blüthe hat mich betäubt und trunken gemacht; nun ſie Laub haben und Früchte, muß ich Dich verlaſſen, du
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und das Kreuz mit Trauben. Ach ſo viele Menſchen
haben große Paläſte und prächtige Gärten; — ich möchte
nur dieſe einſame Rochuskapelle haben, und daß alles
ſo ſchön fortwüchſe, wie ich's eingepflanzt habe; —
vom Berg' hab' ich mit den Scherben die Erde los ge-
graben und an die Rebe gelegt, und zweimal hab' ich
unten am Rhein den Krug gefüllt, um ihn zu begießen;
es iſt wohl zum letztenmal, daß er Rheinwaſſer trinkt. —
Jetzt, nach beendigtem Werk, ſitz' ich hier im Beicht-
ſtuhl, und ſchreib' an Dich; die Bienen kommen alle
hintereinander heim; ſie ſind ſchon ganz eingewohnt; —
könnt' ich einziehen in Dein Herz mit jedem Gedanken,
ſo gefühlig, ſo ſüß ſummend, wie dieſe Bienen, beladen
mit Honig und Blumenſtaub, den ich von allen Feldern
zuſammen trage, und alles heim bringen zu Dir —
nicht wahr? —
Am 13. Auguſt.
„Alles hat ſeine Zeit!“ ſprech' ich mit dem Weiſen;
ich habe die Reben ihre Blätter entfalten ſehen; ihre
Blüthe hat mich betäubt und trunken gemacht; nun ſie
Laub haben und Früchte, muß ich Dich verlaſſen, du
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 341. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/373>, abgerufen am 21.11.2024.
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