der Fuchsschwanz hing hinten herunter. Wenn wir auf die Station kamen, schirrte ich die Pferde ab und half auch wieder anspannen. Mit den Postillions sprach ich gebrochen deutsch als wenn ich ein Franzose wär'. Im Anfang war schön Wetter, als wollt' es Frühling werden, bald wurd' es ganz kalter Winter; wir kamen durch einen Wald von ungeheuren Fichten und Tannen, alles bereift, untadelhaft, nicht eine Men- schenseele was des Wegs gefahren, der ganz weiß war; noch obendrein schien der Mond in dieses ver- ödete Silberparadies, eine Todtenstille -- nur die Rä- der pfiffen von der Kälte. Ich saß auf den Kutscher- sitz, und hatte gar nicht kalt; die Winterkält' schlägt Funken aus mir; -- wie's nah an die Mitternacht rückte, da hörten wir pfeifen im Walde; mein Schwa- ger reichte mir ein Pistol aus dem Wagen und fragte, ob ich Muth habe loszuschießen, wenn die Spitzbu- ben kommen, ich sagte: ja, er sagte: schießen sie nur nicht zu früh. Die Lullu hatte große Angst im Wa- gen, ich aber unter freiem Himmel mit der gespannten Pistole, den Säbel umgeschnallt, unzählige funklende Sterne über mir, die blitzenden Bäume, die ihren Rie- senschatten auf den breiten mondbeschienenen Weg war- fen, -- das alles machte mich kühn auf meinem erhabe-
der Fuchsſchwanz hing hinten herunter. Wenn wir auf die Station kamen, ſchirrte ich die Pferde ab und half auch wieder anſpannen. Mit den Poſtillions ſprach ich gebrochen deutſch als wenn ich ein Franzoſe wär'. Im Anfang war ſchön Wetter, als wollt' es Frühling werden, bald wurd' es ganz kalter Winter; wir kamen durch einen Wald von ungeheuren Fichten und Tannen, alles bereift, untadelhaft, nicht eine Men- ſchenſeele was des Wegs gefahren, der ganz weiß war; noch obendrein ſchien der Mond in dieſes ver- ödete Silberparadies, eine Todtenſtille — nur die Rä- der pfiffen von der Kälte. Ich ſaß auf den Kutſcher- ſitz, und hatte gar nicht kalt; die Winterkält' ſchlägt Funken aus mir; — wie's nah an die Mitternacht rückte, da hörten wir pfeifen im Walde; mein Schwa- ger reichte mir ein Piſtol aus dem Wagen und fragte, ob ich Muth habe loszuſchießen, wenn die Spitzbu- ben kommen, ich ſagte: ja, er ſagte: ſchießen ſie nur nicht zu früh. Die Lullu hatte große Angſt im Wa- gen, ich aber unter freiem Himmel mit der geſpannten Piſtole, den Säbel umgeſchnallt, unzählige funklende Sterne über mir, die blitzenden Bäume, die ihren Rie- ſenſchatten auf den breiten mondbeſchienenen Weg war- fen, — das alles machte mich kühn auf meinem erhabe-
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der Fuchsſchwanz hing hinten herunter. Wenn wir
auf die Station kamen, ſchirrte ich die Pferde ab und
half auch wieder anſpannen. Mit den Poſtillions
ſprach ich gebrochen deutſch als wenn ich ein Franzoſe
wär'. Im Anfang war ſchön Wetter, als wollt' es
Frühling werden, bald wurd' es ganz kalter Winter;
wir kamen durch einen Wald von ungeheuren Fichten
und Tannen, alles bereift, untadelhaft, nicht eine Men-
ſchenſeele was des Wegs gefahren, der ganz weiß
war; noch obendrein ſchien der Mond in dieſes ver-
ödete Silberparadies, eine Todtenſtille — nur die Rä-
der pfiffen von der Kälte. Ich ſaß auf den Kutſcher-
ſitz, und hatte gar nicht kalt; die Winterkält' ſchlägt
Funken aus mir; — wie's nah an die Mitternacht
rückte, da hörten wir pfeifen im Walde; mein Schwa-
ger reichte mir ein Piſtol aus dem Wagen und fragte,
ob ich Muth habe loszuſchießen, wenn die Spitzbu-
ben kommen, ich ſagte: ja, er ſagte: ſchießen ſie nur
nicht zu früh. Die Lullu hatte große Angſt im Wa-
gen, ich aber unter freiem Himmel mit der geſpannten
Piſtole, den Säbel umgeſchnallt, unzählige funklende
Sterne über mir, die blitzenden Bäume, die ihren Rie-
ſenſchatten auf den breiten mondbeſchienenen Weg war-
fen, — das alles machte mich kühn auf meinem erhabe-
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/37>, abgerufen am 21.11.2024.
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