Schlagschatten der übergebogenen Felsstücke durchschnei- den ihre Strahlen; aus der Wisper, die kein ganz un- bedeutender Fluß ist -- sie rauscht mit ziemlicher Ge- walt -- stehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, hei- ligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Gesicht auf dem feuchten Stein; das stürzende Wasser bereg- nete mich fein, die Sonnenstrahlen kamen sans rime et raison quer durch die Felsschichten, um mich und mein Bett zu vergolden; über mir war Finsterniß; meinen Strohut, den ich schon längst mit Naturmerkwürdigkei- ten angefüllt hatte, ließ ich schwimmen, um die Wur- zeln der Pflanzen zu tränken; -- wie wir weiter ka- men, drängten die Berge sich nesterweise an einander, die nur dann und wann von schroffen Felsen geschieden wurden. Ich wär' gar zu gern hinauf geklettert, um zu sehen, wo man war; es war zu schroff, die Zeit er- laubte es nicht, dem gescheuten Wegweiser waren alle Sorgen auf dem Gesichte gemalt; er versicherte jedoch, daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unse- rer engen Schlucht; so kühl war mir's auch innerlich; wir trippelten immer vorwärts.
Das Ziel unserer Reise war ein Sauerbrunnen hin- ter Weißenthurn, der in einer wüsten Wildniß liegt.
Schlagſchatten der übergebogenen Felsſtücke durchſchnei- den ihre Strahlen; aus der Wiſper, die kein ganz un- bedeutender Fluß iſt — ſie rauſcht mit ziemlicher Ge- walt — ſtehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, hei- ligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Geſicht auf dem feuchten Stein; das ſtürzende Waſſer bereg- nete mich fein, die Sonnenſtrahlen kamen sans rime et raison quer durch die Felsſchichten, um mich und mein Bett zu vergolden; über mir war Finſterniß; meinen Strohut, den ich ſchon längſt mit Naturmerkwürdigkei- ten angefüllt hatte, ließ ich ſchwimmen, um die Wur- zeln der Pflanzen zu tränken; — wie wir weiter ka- men, drängten die Berge ſich neſterweiſe an einander, die nur dann und wann von ſchroffen Felſen geſchieden wurden. Ich wär' gar zu gern hinauf geklettert, um zu ſehen, wo man war; es war zu ſchroff, die Zeit er- laubte es nicht, dem geſcheuten Wegweiſer waren alle Sorgen auf dem Geſichte gemalt; er verſicherte jedoch, daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unſe- rer engen Schlucht; ſo kühl war mir's auch innerlich; wir trippelten immer vorwärts.
Das Ziel unſerer Reiſe war ein Sauerbrunnen hin- ter Weißenthurn, der in einer wüſten Wildniß liegt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0363"n="331"/>
Schlagſchatten der übergebogenen Felsſtücke durchſchnei-<lb/>
den ihre Strahlen; aus der Wiſper, die kein ganz un-<lb/>
bedeutender Fluß iſt —ſie rauſcht mit ziemlicher Ge-<lb/>
walt —ſtehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, hei-<lb/>
ligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein<lb/>
wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Geſicht<lb/>
auf dem feuchten Stein; das ſtürzende Waſſer bereg-<lb/>
nete mich fein, die Sonnenſtrahlen kamen <hirendition="#aq">sans rime et<lb/>
raison</hi> quer durch die Felsſchichten, um mich und mein<lb/>
Bett zu vergolden; über mir war Finſterniß; meinen<lb/>
Strohut, den ich ſchon längſt mit Naturmerkwürdigkei-<lb/>
ten angefüllt hatte, ließ ich ſchwimmen, um die Wur-<lb/>
zeln der Pflanzen zu tränken; — wie wir weiter ka-<lb/>
men, drängten die Berge ſich neſterweiſe an einander,<lb/>
die nur dann und wann von ſchroffen Felſen geſchieden<lb/>
wurden. Ich wär' gar zu gern hinauf geklettert, um<lb/>
zu ſehen, wo man war; es war zu ſchroff, die Zeit er-<lb/>
laubte es nicht, dem geſcheuten Wegweiſer waren alle<lb/>
Sorgen auf dem Geſichte gemalt; er verſicherte jedoch,<lb/>
daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unſe-<lb/>
rer engen Schlucht; ſo kühl war mir's auch innerlich;<lb/>
wir trippelten immer vorwärts.</p><lb/><p>Das Ziel unſerer Reiſe war ein Sauerbrunnen hin-<lb/>
ter Weißenthurn, der in einer wüſten Wildniß liegt.<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[331/0363]
Schlagſchatten der übergebogenen Felsſtücke durchſchnei-
den ihre Strahlen; aus der Wiſper, die kein ganz un-
bedeutender Fluß iſt — ſie rauſcht mit ziemlicher Ge-
walt — ſtehen erhöhte Felsplatten, wie harte, kalte, hei-
ligen Betten hervor. Ich legte mich auf eins um ein
wenig auszuruhen; ich lag mit dem glühenden Geſicht
auf dem feuchten Stein; das ſtürzende Waſſer bereg-
nete mich fein, die Sonnenſtrahlen kamen sans rime et
raison quer durch die Felsſchichten, um mich und mein
Bett zu vergolden; über mir war Finſterniß; meinen
Strohut, den ich ſchon längſt mit Naturmerkwürdigkei-
ten angefüllt hatte, ließ ich ſchwimmen, um die Wur-
zeln der Pflanzen zu tränken; — wie wir weiter ka-
men, drängten die Berge ſich neſterweiſe an einander,
die nur dann und wann von ſchroffen Felſen geſchieden
wurden. Ich wär' gar zu gern hinauf geklettert, um
zu ſehen, wo man war; es war zu ſchroff, die Zeit er-
laubte es nicht, dem geſcheuten Wegweiſer waren alle
Sorgen auf dem Geſichte gemalt; er verſicherte jedoch,
daß er keine im Herzen hege; es wurde kühl in unſe-
rer engen Schlucht; ſo kühl war mir's auch innerlich;
wir trippelten immer vorwärts.
Das Ziel unſerer Reiſe war ein Sauerbrunnen hin-
ter Weißenthurn, der in einer wüſten Wildniß liegt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/363>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.