blühen sah, da hab' ich sie denn ausgegraben und in die Sonne gelegt; sie sind gleich trocken und ich nehm' sie mit. Die Distel hab' ich zum ewigen Andenken wie- der festgepflanzt. -- Nun muß ich dir auch erzählen, was ich hier oben für eine neue Einrichtung gefunden, nehmlich oben im Beichtstuhl ein Brett befestigt und darauf einen kleinen viereckigen Bienenkorb. Die Bie- nen waren ganz matt und saßen auf dem Brettchen und an dem Korb. Nun muß ich Dir aus dem Kloster erzählen. Da war eine Nonne, die hieß man Mere ce- latrice, die hatte mich an sich gewöhnt, daß ich ihr alle Geschäfte besorgen half. Hatten wir den Wein im Kel- ler gepflegt, so sahen wir nach den Bienen; denn sie war Bienenmutter, und das war ein ganz bedeutendes Amt. Im Winter wurden sie von ihr gefüttert, die Bie- nen saugten aus ihrer Hand süßes Bier; im Sommer hingen sie sich an ihren Schleier, wenn sie im Garten ging, und sie behauptete, von ihnen gekannt und geliebt zu sein. Damals hatte ich große Neigung zu diesen Thierchen. Die Mere celatrice sagte, vor allem müsse man die Furcht überwinden, und wenn eine stechen wolle, so müsse man nicht zucken, dann würden sie nie stark stechen. Das hat mich große Überwindung geko- stet, nachdem ich den festen Vorsatz gefaßt hatte, mitten
blühen ſah, da hab' ich ſie denn ausgegraben und in die Sonne gelegt; ſie ſind gleich trocken und ich nehm' ſie mit. Die Diſtel hab' ich zum ewigen Andenken wie- der feſtgepflanzt. — Nun muß ich dir auch erzählen, was ich hier oben für eine neue Einrichtung gefunden, nehmlich oben im Beichtſtuhl ein Brett befeſtigt und darauf einen kleinen viereckigen Bienenkorb. Die Bie- nen waren ganz matt und ſaßen auf dem Brettchen und an dem Korb. Nun muß ich Dir aus dem Kloſter erzählen. Da war eine Nonne, die hieß man Mere ce- latrice, die hatte mich an ſich gewöhnt, daß ich ihr alle Geſchäfte beſorgen half. Hatten wir den Wein im Kel- ler gepflegt, ſo ſahen wir nach den Bienen; denn ſie war Bienenmutter, und das war ein ganz bedeutendes Amt. Im Winter wurden ſie von ihr gefüttert, die Bie- nen ſaugten aus ihrer Hand ſüßes Bier; im Sommer hingen ſie ſich an ihren Schleier, wenn ſie im Garten ging, und ſie behauptete, von ihnen gekannt und geliebt zu ſein. Damals hatte ich große Neigung zu dieſen Thierchen. Die Mere celatrice ſagte, vor allem müſſe man die Furcht überwinden, und wenn eine ſtechen wolle, ſo müſſe man nicht zucken, dann würden ſie nie ſtark ſtechen. Das hat mich große Überwindung geko- ſtet, nachdem ich den feſten Vorſatz gefaßt hatte, mitten
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blühen ſah, da hab' ich ſie denn ausgegraben und in
die Sonne gelegt; ſie ſind gleich trocken und ich nehm'
ſie mit. Die Diſtel hab' ich zum ewigen Andenken wie-
der feſtgepflanzt. — Nun muß ich dir auch erzählen,
was ich hier oben für eine neue Einrichtung gefunden,
nehmlich oben im Beichtſtuhl ein Brett befeſtigt und
darauf einen kleinen viereckigen Bienenkorb. Die Bie-
nen waren ganz matt und ſaßen auf dem Brettchen
und an dem Korb. Nun muß ich Dir aus dem Kloſter
erzählen. Da war eine Nonne, die hieß man Mere ce-
latrice, die hatte mich an ſich gewöhnt, daß ich ihr alle
Geſchäfte beſorgen half. Hatten wir den Wein im Kel-
ler gepflegt, ſo ſahen wir nach den Bienen; denn ſie
war Bienenmutter, und das war ein ganz bedeutendes
Amt. Im Winter wurden ſie von ihr gefüttert, die Bie-
nen ſaugten aus ihrer Hand ſüßes Bier; im Sommer
hingen ſie ſich an ihren Schleier, wenn ſie im Garten
ging, und ſie behauptete, von ihnen gekannt und geliebt
zu ſein. Damals hatte ich große Neigung zu dieſen
Thierchen. Die Mere celatrice ſagte, vor allem müſſe
man die Furcht überwinden, und wenn eine ſtechen
wolle, ſo müſſe man nicht zucken, dann würden ſie nie
ſtark ſtechen. Das hat mich große Überwindung geko-
ſtet, nachdem ich den feſten Vorſatz gefaßt hatte, mitten
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/325>, abgerufen am 24.11.2024.
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