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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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die himmlische blaue Luft verdufteten sie ihre silberne
Weisheit, und sie neigten sich in den Felsensaal herab
und strömten Licht über die schwarzen Abgründe, daß
alles sichtbar war. Da sprangen die Wellen in Blu-
men in die Höhe und umtanzten sie, und ihr Nahen,
ihr ganzes Sprechen war ein Eindringen ihrer Schön-
heit auf mich, daß meine Augen sie kaum faßten mit
allem Beistand des Geistes -- und das war ihre ganze
Wirkung auf mich.

O Goethe! ich könnte Dir noch viele Gesichte mit-
theilen; ja, ich glaub's, daß Orpheus sich umringt sah
von den wilden Thieren, die in süßer Wehmuth auf-
stöhnten mit den Seufzern seines Gesangs; ich glaub's,
daß die Bäume und Felsen sich nahten, und neue Grup-
pen und Wälder bildeten, denn auch ich hab's erlebt;
ich sah Säulen emporsteigen und wunderbares Gebälk
tragen, auf dem sich schöne Jünglinge wiegten; ich sah
Hallen, in denen erhabene Götterbilder aufgestellt wa-
ren; wunderbare Gebäude, deren Glanz den Blick des
stolzen Auges brachen; deren Gallerieen Tempel waren,
in denen Priesterinnen mit goldnen Opfergeräthen wan-
delten und die Säulen mit Blumen schmückten, und de-
ren Zinnen von Adlern und Schwanen umkreis't waren;
ich sah diese ungeheuren Architekturen mit der Nacht

die himmliſche blaue Luft verdufteten ſie ihre ſilberne
Weisheit, und ſie neigten ſich in den Felſenſaal herab
und ſtrömten Licht über die ſchwarzen Abgründe, daß
alles ſichtbar war. Da ſprangen die Wellen in Blu-
men in die Höhe und umtanzten ſie, und ihr Nahen,
ihr ganzes Sprechen war ein Eindringen ihrer Schön-
heit auf mich, daß meine Augen ſie kaum faßten mit
allem Beiſtand des Geiſtes — und das war ihre ganze
Wirkung auf mich.

O Goethe! ich könnte Dir noch viele Geſichte mit-
theilen; ja, ich glaub's, daß Orpheus ſich umringt ſah
von den wilden Thieren, die in ſüßer Wehmuth auf-
ſtöhnten mit den Seufzern ſeines Geſangs; ich glaub's,
daß die Bäume und Felſen ſich nahten, und neue Grup-
pen und Wälder bildeten, denn auch ich hab's erlebt;
ich ſah Säulen emporſteigen und wunderbares Gebälk
tragen, auf dem ſich ſchöne Jünglinge wiegten; ich ſah
Hallen, in denen erhabene Götterbilder aufgeſtellt wa-
ren; wunderbare Gebäude, deren Glanz den Blick des
ſtolzen Auges brachen; deren Gallerieen Tempel waren,
in denen Prieſterinnen mit goldnen Opfergeräthen wan-
delten und die Säulen mit Blumen ſchmückten, und de-
ren Zinnen von Adlern und Schwanen umkreiſ't waren;
ich ſah dieſe ungeheuren Architekturen mit der Nacht

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[286/0318] die himmliſche blaue Luft verdufteten ſie ihre ſilberne Weisheit, und ſie neigten ſich in den Felſenſaal herab und ſtrömten Licht über die ſchwarzen Abgründe, daß alles ſichtbar war. Da ſprangen die Wellen in Blu- men in die Höhe und umtanzten ſie, und ihr Nahen, ihr ganzes Sprechen war ein Eindringen ihrer Schön- heit auf mich, daß meine Augen ſie kaum faßten mit allem Beiſtand des Geiſtes — und das war ihre ganze Wirkung auf mich. O Goethe! ich könnte Dir noch viele Geſichte mit- theilen; ja, ich glaub's, daß Orpheus ſich umringt ſah von den wilden Thieren, die in ſüßer Wehmuth auf- ſtöhnten mit den Seufzern ſeines Geſangs; ich glaub's, daß die Bäume und Felſen ſich nahten, und neue Grup- pen und Wälder bildeten, denn auch ich hab's erlebt; ich ſah Säulen emporſteigen und wunderbares Gebälk tragen, auf dem ſich ſchöne Jünglinge wiegten; ich ſah Hallen, in denen erhabene Götterbilder aufgeſtellt wa- ren; wunderbare Gebäude, deren Glanz den Blick des ſtolzen Auges brachen; deren Gallerieen Tempel waren, in denen Prieſterinnen mit goldnen Opfergeräthen wan- delten und die Säulen mit Blumen ſchmückten, und de- ren Zinnen von Adlern und Schwanen umkreiſ't waren; ich ſah dieſe ungeheuren Architekturen mit der Nacht

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 286. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/318>, abgerufen am 24.11.2024.