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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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läugnet, oder nicht ahndet -- es ist doch wahr. -- Er-
faßt er eine Melodie, so ahndet er schon ihre Vollkom-
menheit, und das Herz unterwirft sich einer strengen
Prüfung, es läßt sich alles gefallen, um dem Göttlichen
näher zu kommen; je höher es steigt, je seeliger; und
das ist das Verdienst des Meisters, daß er sich gefallen
lasse, daß die Geister auf ihn eindringen, ihm nehmen,
sein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere
zu suchen unter ewigen Schmerzen der Begeistrung. Wo
ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Musik.
Wie ich aus dem Kloster kam nach Offenbach, da lag ich
im Garten auf dem Rasen und hörte Salieri und Win-
ter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beet-
hoven. Das alles umschwärmte mich; ich begriff's we-
der mit den Ohren noch mit dem Verstand, aber ich
fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht
fühlte; das heißt, der innere, höhere Mensch fühlte es;
und schon damals fragte ich mich: wer ist das, der da
gespeist und getränkt wird durch Musik, und was ist
das, was da wächst und sich nährt und pflegt und
selbst thätig wird durch sie? -- denn ich fühlte eine
Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich
ergreifen sollte. Oft dachte ich, ich müsse mit fliegender
Fahne voranziehen den Völkern; ich würde sie auf Hö-

läugnet, oder nicht ahndet — es iſt doch wahr. — Er-
faßt er eine Melodie, ſo ahndet er ſchon ihre Vollkom-
menheit, und das Herz unterwirft ſich einer ſtrengen
Prüfung, es läßt ſich alles gefallen, um dem Göttlichen
näher zu kommen; je höher es ſteigt, je ſeeliger; und
das iſt das Verdienſt des Meiſters, daß er ſich gefallen
laſſe, daß die Geiſter auf ihn eindringen, ihm nehmen,
ſein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere
zu ſuchen unter ewigen Schmerzen der Begeiſtrung. Wo
ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Muſik.
Wie ich aus dem Kloſter kam nach Offenbach, da lag ich
im Garten auf dem Raſen und hörte Salieri und Win-
ter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beet-
hoven. Das alles umſchwärmte mich; ich begriff's we-
der mit den Ohren noch mit dem Verſtand, aber ich
fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht
fühlte; das heißt, der innere, höhere Menſch fühlte es;
und ſchon damals fragte ich mich: wer iſt das, der da
geſpeiſt und getränkt wird durch Muſik, und was iſt
das, was da wächſt und ſich nährt und pflegt und
ſelbſt thätig wird durch ſie? — denn ich fühlte eine
Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich
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[284/0316] läugnet, oder nicht ahndet — es iſt doch wahr. — Er- faßt er eine Melodie, ſo ahndet er ſchon ihre Vollkom- menheit, und das Herz unterwirft ſich einer ſtrengen Prüfung, es läßt ſich alles gefallen, um dem Göttlichen näher zu kommen; je höher es ſteigt, je ſeeliger; und das iſt das Verdienſt des Meiſters, daß er ſich gefallen laſſe, daß die Geiſter auf ihn eindringen, ihm nehmen, ſein Ganzes vernichten, daß er ihnen gehorcht, das Höhere zu ſuchen unter ewigen Schmerzen der Begeiſtrung. Wo ich das alles, und einzig was ich gehört habe, war Muſik. Wie ich aus dem Kloſter kam nach Offenbach, da lag ich im Garten auf dem Raſen und hörte Salieri und Win- ter und Mozart und Cherubini und Haydn und Beet- hoven. Das alles umſchwärmte mich; ich begriff's we- der mit den Ohren noch mit dem Verſtand, aber ich fühlte es doch, während ich alles andre im Leben nicht fühlte; das heißt, der innere, höhere Menſch fühlte es; und ſchon damals fragte ich mich: wer iſt das, der da geſpeiſt und getränkt wird durch Muſik, und was iſt das, was da wächſt und ſich nährt und pflegt und ſelbſt thätig wird durch ſie? — denn ich fühlte eine Bewegung zum Handeln; ich wußte aber nicht was ich ergreifen ſollte. Oft dachte ich, ich müſſe mit fliegender Fahne voranziehen den Völkern; ich würde ſie auf Hö-

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/316>, abgerufen am 24.11.2024.