Aus des Menschen Brust; -- er schaut sich selber an, der Meister; -- das ist die Gewalt, die den Geist zitirt. Er steigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und sie sehen sich scharf an, der Meister und der Geist, -- das ist die Begeistrung; -- so sieht der göttliche Geist die Natur an, davon sie blüht. -- Da blühen Geister aus dem Geist; sie umschlingen einander, sie strömen aus, sie trinken einander, sie gebären einander; ihr Tanz ist Form, Gebild; wir sehen sie nicht -- wir empfin- den's, und unterwerfen uns seiner himmlischen Gewalt; und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung, die uns heilt. -- Das ist Musik.
O, glaub' gewiß, daß wahre Musik übermenschlich ist. Der Meister fordert das Unmögliche von den Gei- stern, die ihm unterworfen sind, -- und siehe, es ist möglich, sie leisten es. -- An Zauberei ist nicht zu zwei- flen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch im Reich der Übermacht geleistet werde, und daß das Höchste von der Ahndung, von dem Streben desjenigen abhänge, dem die Geister sich neigen. Wer das Gött- liche will, dem werden sie Göttliches leisten. Was ist aber das Göttliche? -- Das ewige Opfer des mensch- lichen Herzens an die Gottheit; -- dies Opfer geht hier geistiger Weise vor; und wenn es der Meister auch
Aus des Menſchen Bruſt; — er ſchaut ſich ſelber an, der Meiſter; — das iſt die Gewalt, die den Geiſt zitirt. Er ſteigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und ſie ſehen ſich ſcharf an, der Meiſter und der Geiſt, — das iſt die Begeiſtrung; — ſo ſieht der göttliche Geiſt die Natur an, davon ſie blüht. — Da blühen Geiſter aus dem Geiſt; ſie umſchlingen einander, ſie ſtrömen aus, ſie trinken einander, ſie gebären einander; ihr Tanz iſt Form, Gebild; wir ſehen ſie nicht — wir empfin- den's, und unterwerfen uns ſeiner himmliſchen Gewalt; und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung, die uns heilt. — Das iſt Muſik.
O, glaub' gewiß, daß wahre Muſik übermenſchlich iſt. Der Meiſter fordert das Unmögliche von den Gei- ſtern, die ihm unterworfen ſind, — und ſiehe, es iſt möglich, ſie leiſten es. — An Zauberei iſt nicht zu zwei- flen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch im Reich der Übermacht geleiſtet werde, und daß das Höchſte von der Ahndung, von dem Streben desjenigen abhänge, dem die Geiſter ſich neigen. Wer das Gött- liche will, dem werden ſie Göttliches leiſten. Was iſt aber das Göttliche? — Das ewige Opfer des menſch- lichen Herzens an die Gottheit; — dies Opfer geht hier geiſtiger Weiſe vor; und wenn es der Meiſter auch
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Aus des Menſchen Bruſt; — er ſchaut ſich ſelber an,
der Meiſter; — das iſt die Gewalt, die den Geiſt zitirt.
Er ſteigt hervor aus unendlicher Tiefe des Inneren, und
ſie ſehen ſich ſcharf an, der Meiſter und der Geiſt, —
das iſt die Begeiſtrung; — ſo ſieht der göttliche Geiſt
die Natur an, davon ſie blüht. — Da blühen Geiſter
aus dem Geiſt; ſie umſchlingen einander, ſie ſtrömen
aus, ſie trinken einander, ſie gebären einander; ihr Tanz
iſt Form, Gebild; wir ſehen ſie nicht — wir empfin-
den's, und unterwerfen uns ſeiner himmliſchen Gewalt;
und indem wir dies thun, erleiden wir eine Einwirkung,
die uns heilt. — Das iſt Muſik.
O, glaub' gewiß, daß wahre Muſik übermenſchlich
iſt. Der Meiſter fordert das Unmögliche von den Gei-
ſtern, die ihm unterworfen ſind, — und ſiehe, es iſt
möglich, ſie leiſten es. — An Zauberei iſt nicht zu zwei-
flen, nur muß man glauben, daß das Übermächtige auch
im Reich der Übermacht geleiſtet werde, und daß das
Höchſte von der Ahndung, von dem Streben desjenigen
abhänge, dem die Geiſter ſich neigen. Wer das Gött-
liche will, dem werden ſie Göttliches leiſten. Was iſt
aber das Göttliche? — Das ewige Opfer des menſch-
lichen Herzens an die Gottheit; — dies Opfer geht hier
geiſtiger Weiſe vor; und wenn es der Meiſter auch
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 283. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/315>, abgerufen am 24.11.2024.
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