selbst auszusprechen; ich hab' mich vor dem Sonnenlicht versteckt und in dunkler Nacht, wo kein Stern leuchtet und die Winde brausen, da bin ich in die Finsterniß hinaus, und hab' mich fortgeschlichen bis zum Ufer; -- da war es immer noch nicht einsam genug, -- da stör- ten mich die Wellen, das Rauschen im Gras, und wenn ich in die dichte Finsterniß hineinstarrte und die Wol- ken sich theilten, daß sich die Sterne zeigten, -- da hüllte ich mich in den Mantel und legte das Gesicht an die Erde, um ganz, ganz allein zu sein; das stärkte mich, daß ich freier war, da regte es mich an, das, was vielleicht keiner beachtet, zu beachten; da besann ich mich, ob ich denn wirklich mit Dir spreche, oder ob ich nur mich vor Dir hören lasse? -- Ach Goethe! -- Musik, ja Musik! hier kommen wir wieder auf das heilige Kapi- tel, -- da hören wir auch zu, aber wir sprechen nicht mit, -- aber wir hören, wie sie unter einander sprechen, und das erschüttert uns, das ergreift uns; -- ja, sie sprechen unter einander, und wir hören und empfinden, daß sie eins werden im Gespräch. -- Drum, das wahre Sprechen ist eine Harmonie, ohne Scheidung alles in sich vereint; -- wenn ich Dir die Wahrheit sage, so muß deine Seele in meine überfließen, -- das glaub' ich.
Wo kommen sie her, diese Geister der Musik? --
ſelbſt auszuſprechen; ich hab' mich vor dem Sonnenlicht verſteckt und in dunkler Nacht, wo kein Stern leuchtet und die Winde brauſen, da bin ich in die Finſterniß hinaus, und hab' mich fortgeſchlichen bis zum Ufer; — da war es immer noch nicht einſam genug, — da ſtör- ten mich die Wellen, das Rauſchen im Gras, und wenn ich in die dichte Finſterniß hineinſtarrte und die Wol- ken ſich theilten, daß ſich die Sterne zeigten, — da hüllte ich mich in den Mantel und legte das Geſicht an die Erde, um ganz, ganz allein zu ſein; das ſtärkte mich, daß ich freier war, da regte es mich an, das, was vielleicht keiner beachtet, zu beachten; da beſann ich mich, ob ich denn wirklich mit Dir ſpreche, oder ob ich nur mich vor Dir hören laſſe? — Ach Goethe! — Muſik, ja Muſik! hier kommen wir wieder auf das heilige Kapi- tel, — da hören wir auch zu, aber wir ſprechen nicht mit, — aber wir hören, wie ſie unter einander ſprechen, und das erſchüttert uns, das ergreift uns; — ja, ſie ſprechen unter einander, und wir hören und empfinden, daß ſie eins werden im Geſpräch. — Drum, das wahre Sprechen iſt eine Harmonie, ohne Scheidung alles in ſich vereint; — wenn ich Dir die Wahrheit ſage, ſo muß deine Seele in meine überfließen, — das glaub' ich.
Wo kommen ſie her, dieſe Geiſter der Muſik? —
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0314"n="282"/>ſelbſt auszuſprechen; ich hab' mich vor dem Sonnenlicht<lb/>
verſteckt und in dunkler Nacht, wo kein Stern leuchtet<lb/>
und die Winde brauſen, da bin ich in die Finſterniß<lb/>
hinaus, und hab' mich fortgeſchlichen bis zum Ufer; —<lb/>
da war es immer noch nicht einſam genug, — da ſtör-<lb/>
ten mich die Wellen, das Rauſchen im Gras, und wenn<lb/>
ich in die dichte Finſterniß hineinſtarrte und die Wol-<lb/>
ken ſich theilten, daß ſich die Sterne zeigten, — da<lb/>
hüllte ich mich in den Mantel und legte das Geſicht<lb/>
an die Erde, um ganz, ganz allein zu ſein; das ſtärkte<lb/>
mich, daß ich freier war, da regte es mich an, das, was<lb/>
vielleicht keiner beachtet, zu beachten; da beſann ich mich,<lb/>
ob ich denn wirklich mit Dir ſpreche, oder ob ich nur<lb/>
mich vor Dir hören laſſe? — Ach Goethe! — Muſik, ja<lb/>
Muſik! hier kommen wir wieder auf das heilige Kapi-<lb/>
tel, — da hören wir auch zu, aber wir ſprechen nicht<lb/>
mit, — aber wir hören, wie ſie unter einander ſprechen,<lb/>
und das erſchüttert uns, das ergreift uns; — ja, ſie<lb/>ſprechen unter einander, und wir hören und empfinden,<lb/>
daß ſie eins werden im Geſpräch. — Drum, das <hirendition="#g">wahre</hi><lb/>
Sprechen iſt eine Harmonie, ohne Scheidung alles in<lb/>ſich vereint; — wenn ich Dir die Wahrheit ſage, ſo<lb/>
muß deine Seele in meine überfließen, — das glaub' ich.</p><lb/><p>Wo kommen ſie her, dieſe Geiſter der Muſik? —<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[282/0314]
ſelbſt auszuſprechen; ich hab' mich vor dem Sonnenlicht
verſteckt und in dunkler Nacht, wo kein Stern leuchtet
und die Winde brauſen, da bin ich in die Finſterniß
hinaus, und hab' mich fortgeſchlichen bis zum Ufer; —
da war es immer noch nicht einſam genug, — da ſtör-
ten mich die Wellen, das Rauſchen im Gras, und wenn
ich in die dichte Finſterniß hineinſtarrte und die Wol-
ken ſich theilten, daß ſich die Sterne zeigten, — da
hüllte ich mich in den Mantel und legte das Geſicht
an die Erde, um ganz, ganz allein zu ſein; das ſtärkte
mich, daß ich freier war, da regte es mich an, das, was
vielleicht keiner beachtet, zu beachten; da beſann ich mich,
ob ich denn wirklich mit Dir ſpreche, oder ob ich nur
mich vor Dir hören laſſe? — Ach Goethe! — Muſik, ja
Muſik! hier kommen wir wieder auf das heilige Kapi-
tel, — da hören wir auch zu, aber wir ſprechen nicht
mit, — aber wir hören, wie ſie unter einander ſprechen,
und das erſchüttert uns, das ergreift uns; — ja, ſie
ſprechen unter einander, und wir hören und empfinden,
daß ſie eins werden im Geſpräch. — Drum, das wahre
Sprechen iſt eine Harmonie, ohne Scheidung alles in
ſich vereint; — wenn ich Dir die Wahrheit ſage, ſo
muß deine Seele in meine überfließen, — das glaub' ich.
Wo kommen ſie her, dieſe Geiſter der Muſik? —
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/314>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.