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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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dem Odenwald und Melibocus herab, haben sich ein
paar allerliebste Flüßchen auf die Beine gemacht: die
Wesnitz und die Schwarzbach; die sind so eilig: was
giltst Du, was hast Du? -- Dann führt ihm der Main
ganz verschwiegen die Nid und die Krüftel zu; das
verdaut er alles ganz ruhig, und bleibt doch immer er
selber; und so macht's unser großer deutscher Dichter
auch, wie unser großer deutscher Fluß; wo er geht und
steht, wo er gewesen ist und wo er hinkommt, da ist
immer was Liebes, was den Strom seiner Begeistrung
anschwellt.

Ich war überrascht von der großen Gesellschaft;
Vogt meinte, das wären noch lange nicht alle; der
Vergleiche waren noch kein Ende: Geschichte und Fabel,
Feuer und Wasser, was über und unter der Erde ge-
deiht, wußte er passend anzuwenden; ein Rhinoceros-
gerippe und versteinerte Palmen, die man am Rhein
gefunden, nahm er, als deine interessantesten Studien
bezeichnend. So belehrte er mich und prophezeihte, daß
Du auch bis an's End', wie der Rhein, aushalten wer-
dest, und nachdem Du wie er, alle gesättigt und ge-
nossen, sanft und gemachsam dem Meer der Ewigkeit
zuwallen werdest; er schrieb mir das Verzeichniß aller
Flüsse auf, und verglich mich mit der Nidda; ach wie

dem Odenwald und Melibocus herab, haben ſich ein
paar allerliebſte Flüßchen auf die Beine gemacht: die
Wesnitz und die Schwarzbach; die ſind ſo eilig: was
giltſt Du, was haſt Du? — Dann führt ihm der Main
ganz verſchwiegen die Nid und die Krüftel zu; das
verdaut er alles ganz ruhig, und bleibt doch immer er
ſelber; und ſo macht's unſer großer deutſcher Dichter
auch, wie unſer großer deutſcher Fluß; wo er geht und
ſteht, wo er geweſen iſt und wo er hinkommt, da iſt
immer was Liebes, was den Strom ſeiner Begeiſtrung
anſchwellt.

Ich war überraſcht von der großen Geſellſchaft;
Vogt meinte, das wären noch lange nicht alle; der
Vergleiche waren noch kein Ende: Geſchichte und Fabel,
Feuer und Waſſer, was über und unter der Erde ge-
deiht, wußte er paſſend anzuwenden; ein Rhinoceros-
gerippe und verſteinerte Palmen, die man am Rhein
gefunden, nahm er, als deine intereſſanteſten Studien
bezeichnend. So belehrte er mich und prophezeihte, daß
Du auch bis an's End', wie der Rhein, aushalten wer-
deſt, und nachdem Du wie er, alle geſättigt und ge-
noſſen, ſanft und gemachſam dem Meer der Ewigkeit
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[247/0279] dem Odenwald und Melibocus herab, haben ſich ein paar allerliebſte Flüßchen auf die Beine gemacht: die Wesnitz und die Schwarzbach; die ſind ſo eilig: was giltſt Du, was haſt Du? — Dann führt ihm der Main ganz verſchwiegen die Nid und die Krüftel zu; das verdaut er alles ganz ruhig, und bleibt doch immer er ſelber; und ſo macht's unſer großer deutſcher Dichter auch, wie unſer großer deutſcher Fluß; wo er geht und ſteht, wo er geweſen iſt und wo er hinkommt, da iſt immer was Liebes, was den Strom ſeiner Begeiſtrung anſchwellt. Ich war überraſcht von der großen Geſellſchaft; Vogt meinte, das wären noch lange nicht alle; der Vergleiche waren noch kein Ende: Geſchichte und Fabel, Feuer und Waſſer, was über und unter der Erde ge- deiht, wußte er paſſend anzuwenden; ein Rhinoceros- gerippe und verſteinerte Palmen, die man am Rhein gefunden, nahm er, als deine intereſſanteſten Studien bezeichnend. So belehrte er mich und prophezeihte, daß Du auch bis an's End', wie der Rhein, aushalten wer- deſt, und nachdem Du wie er, alle geſättigt und ge- noſſen, ſanft und gemachſam dem Meer der Ewigkeit zuwallen werdeſt; er ſchrieb mir das Verzeichniß aller Flüſſe auf, und verglich mich mit der Nidda; ach wie

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 247. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/279>, abgerufen am 25.11.2024.