stiegen, alle Herrlichkeiten der Natur mit Hast in sich getrunken, wie den kühlen Wein in der Hitze, so möchte man am Abend den Freund lieber an's Herz drücken, und ihm sagen, wie lieb man ihn hat, als noch viele Beschreibung von Weg und Steg machen. Was ver- mag ich auch vor Dir, als nur Dich innigst anzusehen! Was soll ich Dir vorplaudern? -- Was können Dir meine einfältigen Reden sein?
Wer sich nach der schönen Natur sehnt, der wird sie am besten beschreiben, der wird nichts vergessen keinen Sonnenstrahl, der sich durch die Felsritze stiehlt, keinen Windvogel, der die Wellen streift, kein Kraut, kein Mückchen, keine Blume am einsamen Ort. Wer aber Mitten drinnen ist, und mit glühendem Gesicht oben ankommt, der schläft wie ich gern auf dem grünen Rasen ein, und denkt weiter nicht viel, manch- mal giebt's einen Stoß an's Herz, da seh' ich mich um und suche, wem ich's vertrauen soll.
Was sollen mir all' die Berge bis zur blauen Ferne, die blähenden Segel auf dem Rhein, die brausenden Wasserstrudel! -- es drückt einem doch nur, und -- keine Antwort, niemals, wenn man auch noch so begeh- rend fragt. --
ſtiegen, alle Herrlichkeiten der Natur mit Haſt in ſich getrunken, wie den kühlen Wein in der Hitze, ſo möchte man am Abend den Freund lieber an's Herz drücken, und ihm ſagen, wie lieb man ihn hat, als noch viele Beſchreibung von Weg und Steg machen. Was ver- mag ich auch vor Dir, als nur Dich innigſt anzuſehen! Was ſoll ich Dir vorplaudern? — Was können Dir meine einfältigen Reden ſein?
Wer ſich nach der ſchönen Natur ſehnt, der wird ſie am beſten beſchreiben, der wird nichts vergeſſen keinen Sonnenſtrahl, der ſich durch die Felsritze ſtiehlt, keinen Windvogel, der die Wellen ſtreift, kein Kraut, kein Mückchen, keine Blume am einſamen Ort. Wer aber Mitten drinnen iſt, und mit glühendem Geſicht oben ankommt, der ſchläft wie ich gern auf dem grünen Raſen ein, und denkt weiter nicht viel, manch- mal giebt's einen Stoß an's Herz, da ſeh' ich mich um und ſuche, wem ich's vertrauen ſoll.
Was ſollen mir all' die Berge bis zur blauen Ferne, die blähenden Segel auf dem Rhein, die brauſenden Waſſerſtrudel! — es drückt einem doch nur, und — keine Antwort, niemals, wenn man auch noch ſo begeh- rend fragt. —
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ſtiegen, alle Herrlichkeiten der Natur mit Haſt in ſich
getrunken, wie den kühlen Wein in der Hitze, ſo möchte
man am Abend den Freund lieber an's Herz drücken,
und ihm ſagen, wie lieb man ihn hat, als noch viele
Beſchreibung von Weg und Steg machen. Was ver-
mag ich auch vor Dir, als nur Dich innigſt anzuſehen!
Was ſoll ich Dir vorplaudern? — Was können Dir
meine einfältigen Reden ſein?
Wer ſich nach der ſchönen Natur ſehnt, der wird
ſie am beſten beſchreiben, der wird nichts vergeſſen
keinen Sonnenſtrahl, der ſich durch die Felsritze
ſtiehlt, keinen Windvogel, der die Wellen ſtreift, kein
Kraut, kein Mückchen, keine Blume am einſamen Ort.
Wer aber Mitten drinnen iſt, und mit glühendem
Geſicht oben ankommt, der ſchläft wie ich gern auf dem
grünen Raſen ein, und denkt weiter nicht viel, manch-
mal giebt's einen Stoß an's Herz, da ſeh' ich mich um
und ſuche, wem ich's vertrauen ſoll.
Was ſollen mir all' die Berge bis zur blauen Ferne,
die blähenden Segel auf dem Rhein, die brauſenden
Waſſerſtrudel! — es drückt einem doch nur, und —
keine Antwort, niemals, wenn man auch noch ſo begeh-
rend fragt. —
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 239. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/271>, abgerufen am 22.11.2024.
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