so nahm das Lamm Reisaus und jagte in vollem Galopp mit mir die Wilhelmshöher Allee hinauf; eben so kehrte es wieder um. Alle kamen todtenblaß mir entgegen, das Lamm blieb plötzlich stehen und ich sprang ab; nun sprachen alle von ihrem gehabten Schreck; -- ich fragte: "was ist denn passirt?" -- "Ei, der Gaul ist ja mit Ihnen durchgegangen!" -- "So!" sagt' ich, "das hab' ich nicht gewußt." -- Rothschild wischte mit seinem seidnen Schnupftuch dem Pferde den Schweiß ab, legte ihm seinen Überrock auf den Rücken, damit es sich nicht erkälten solle, und führte es in Hemdärmel nach Haus; er hatte gefürchtet es nimmermehr wieder zu sehen. -- Wie ich am Abend in die Gesellschaft kam, nannten mich die Franzosen nicht mehr Betschwester, sie riefen alle einstimmig: ah l'heroine!
Leb' Sie wohl, ruf ich Ihr aus meiner Traumwelt zu, denn auch über mich verbreitet sich ein wenig diese Gewalt. Ein gar schöner (ja ich müßte blind sein wenn ich dies nicht fände), nun, ein feiner schlanker brauner Franzose sieht mich aus weiter Ferne mit schar- fen Blicken an, er naht sich bescheiden, er bewahrt die Blume, die meiner Hand entfällt, er spricht von meiner Liebenswürdigkeit; Frau Rath wie gefällt einem das? -- ich thue zwar sehr kalt und ungläubig; wenn man in-
ſo nahm das Lamm Reisaus und jagte in vollem Galopp mit mir die Wilhelmshöher Allee hinauf; eben ſo kehrte es wieder um. Alle kamen todtenblaß mir entgegen, das Lamm blieb plötzlich ſtehen und ich ſprang ab; nun ſprachen alle von ihrem gehabten Schreck; — ich fragte: „was iſt denn paſſirt?“ — „Ei, der Gaul iſt ja mit Ihnen durchgegangen!“ — „So!“ ſagt' ich, „das hab' ich nicht gewußt.“ — Rothſchild wiſchte mit ſeinem ſeidnen Schnupftuch dem Pferde den Schweiß ab, legte ihm ſeinen Überrock auf den Rücken, damit es ſich nicht erkälten ſolle, und führte es in Hemdärmel nach Haus; er hatte gefürchtet es nimmermehr wieder zu ſehen. — Wie ich am Abend in die Geſellſchaft kam, nannten mich die Franzoſen nicht mehr Betſchweſter, ſie riefen alle einſtimmig: ah l'héroïne!
Leb' Sie wohl, ruf ich Ihr aus meiner Traumwelt zu, denn auch über mich verbreitet ſich ein wenig dieſe Gewalt. Ein gar ſchöner (ja ich müßte blind ſein wenn ich dies nicht fände), nun, ein feiner ſchlanker brauner Franzoſe ſieht mich aus weiter Ferne mit ſchar- fen Blicken an, er naht ſich beſcheiden, er bewahrt die Blume, die meiner Hand entfällt, er ſpricht von meiner Liebenswürdigkeit; Frau Rath wie gefällt einem das? — ich thue zwar ſehr kalt und ungläubig; wenn man in-
<TEI><text><front><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0027"n="VII"/>ſo nahm das Lamm Reisaus und jagte in vollem Galopp<lb/>
mit mir die Wilhelmshöher Allee hinauf; eben ſo kehrte<lb/>
es wieder um. Alle kamen todtenblaß mir entgegen,<lb/>
das Lamm blieb plötzlich ſtehen und ich ſprang ab;<lb/>
nun ſprachen alle von ihrem gehabten Schreck; — ich<lb/>
fragte: „was iſt denn paſſirt?“—„Ei, der Gaul iſt<lb/>
ja mit Ihnen durchgegangen!“—„So!“ſagt' ich,<lb/>„das hab' ich nicht gewußt.“— Rothſchild wiſchte mit<lb/>ſeinem ſeidnen Schnupftuch dem Pferde den Schweiß<lb/>
ab, legte ihm ſeinen Überrock auf den Rücken, damit es<lb/>ſich nicht erkälten ſolle, und führte es in Hemdärmel<lb/>
nach Haus; er hatte gefürchtet es nimmermehr wieder<lb/>
zu ſehen. — Wie ich am Abend in die Geſellſchaft kam,<lb/>
nannten mich die Franzoſen nicht mehr Betſchweſter, ſie<lb/>
riefen alle einſtimmig: <hirendition="#aq">ah l'héroïne!</hi></p><lb/><p>Leb' Sie wohl, ruf ich Ihr aus meiner Traumwelt<lb/>
zu, denn auch über mich verbreitet ſich ein wenig dieſe<lb/>
Gewalt. Ein gar ſchöner (ja ich müßte blind ſein<lb/>
wenn ich dies nicht fände), nun, ein feiner ſchlanker<lb/>
brauner Franzoſe ſieht mich aus weiter Ferne mit ſchar-<lb/>
fen Blicken an, er naht ſich beſcheiden, er bewahrt die<lb/>
Blume, die meiner Hand entfällt, er ſpricht von meiner<lb/>
Liebenswürdigkeit; Frau Rath wie gefällt einem das? —<lb/>
ich thue zwar ſehr kalt und ungläubig; wenn man in-<lb/></p></div></div></front></text></TEI>
[VII/0027]
ſo nahm das Lamm Reisaus und jagte in vollem Galopp
mit mir die Wilhelmshöher Allee hinauf; eben ſo kehrte
es wieder um. Alle kamen todtenblaß mir entgegen,
das Lamm blieb plötzlich ſtehen und ich ſprang ab;
nun ſprachen alle von ihrem gehabten Schreck; — ich
fragte: „was iſt denn paſſirt?“ — „Ei, der Gaul iſt
ja mit Ihnen durchgegangen!“ — „So!“ ſagt' ich,
„das hab' ich nicht gewußt.“ — Rothſchild wiſchte mit
ſeinem ſeidnen Schnupftuch dem Pferde den Schweiß
ab, legte ihm ſeinen Überrock auf den Rücken, damit es
ſich nicht erkälten ſolle, und führte es in Hemdärmel
nach Haus; er hatte gefürchtet es nimmermehr wieder
zu ſehen. — Wie ich am Abend in die Geſellſchaft kam,
nannten mich die Franzoſen nicht mehr Betſchweſter, ſie
riefen alle einſtimmig: ah l'héroïne!
Leb' Sie wohl, ruf ich Ihr aus meiner Traumwelt
zu, denn auch über mich verbreitet ſich ein wenig dieſe
Gewalt. Ein gar ſchöner (ja ich müßte blind ſein
wenn ich dies nicht fände), nun, ein feiner ſchlanker
brauner Franzoſe ſieht mich aus weiter Ferne mit ſchar-
fen Blicken an, er naht ſich beſcheiden, er bewahrt die
Blume, die meiner Hand entfällt, er ſpricht von meiner
Liebenswürdigkeit; Frau Rath wie gefällt einem das? —
ich thue zwar ſehr kalt und ungläubig; wenn man in-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. VII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/27>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.