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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Heute schreibe ich aber doch mit Zuversicht, weil
ich Dir erzählen kann wie Dein einziger Sohn sich hier
wohl und lustig befindet; er giebt mir alle Abend im
Theater ein Rendezvous in unserer Loge; früh Morgens
spaziert er schon auf den Stadtthürmen herum, um die
Gegend seiner väterlichen Stadt recht zu beschauen; ein
paarmal hab' ich ihn hinausgefahren, um ihm die Ge-
müsgärtnerei zu zeigen, da grade jetzt die ersten wunder-
barlichen Vorbereitungen dazu geschehen, wo jeder Staude
ihr Standort mit der Richtschnur abgemessen wird, und
wo diese fleißigen Gärtner mit so großer Sorgfalt je-
dem Pflänzchen seinen Lebensunterhalt anweisen; auch
an's Stallburgsbrünnchen hab' ich ihn geführt, auf die
Pfingstwiese, auf den Schneidewall; dann hinter die
schlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplatz
war; dann zum mainzer Thürchen hinaus; auch in
Offenbach war er mit mir und der Mutter, und sind
gegen Abend bei Mondschein zu Wasser wieder in die
Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht
losgelegt von all Deinen Geschichten und Lustparthieen;
und da legte ich mich am Abend zu Bett mit trunkner
Einbildung, was mir einen Traum eintrug, von dem
die Erinnerung mir eine Zeit lang Nahrung sein wird.
Es war als lief ich in Weimar durch den Park,

Heute ſchreibe ich aber doch mit Zuverſicht, weil
ich Dir erzählen kann wie Dein einziger Sohn ſich hier
wohl und luſtig befindet; er giebt mir alle Abend im
Theater ein Rendezvous in unſerer Loge; früh Morgens
ſpaziert er ſchon auf den Stadtthürmen herum, um die
Gegend ſeiner väterlichen Stadt recht zu beſchauen; ein
paarmal hab' ich ihn hinausgefahren, um ihm die Ge-
müsgärtnerei zu zeigen, da grade jetzt die erſten wunder-
barlichen Vorbereitungen dazu geſchehen, wo jeder Staude
ihr Standort mit der Richtſchnur abgemeſſen wird, und
wo dieſe fleißigen Gärtner mit ſo großer Sorgfalt je-
dem Pflänzchen ſeinen Lebensunterhalt anweiſen; auch
an's Stallburgsbrünnchen hab' ich ihn geführt, auf die
Pfingſtwieſe, auf den Schneidewall; dann hinter die
ſchlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplatz
war; dann zum mainzer Thürchen hinaus; auch in
Offenbach war er mit mir und der Mutter, und ſind
gegen Abend bei Mondſchein zu Waſſer wieder in die
Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht
losgelegt von all Deinen Geſchichten und Luſtparthieen;
und da legte ich mich am Abend zu Bett mit trunkner
Einbildung, was mir einen Traum eintrug, von dem
die Erinnerung mir eine Zeit lang Nahrung ſein wird.
Es war als lief ich in Weimar durch den Park,

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[210/0242] Heute ſchreibe ich aber doch mit Zuverſicht, weil ich Dir erzählen kann wie Dein einziger Sohn ſich hier wohl und luſtig befindet; er giebt mir alle Abend im Theater ein Rendezvous in unſerer Loge; früh Morgens ſpaziert er ſchon auf den Stadtthürmen herum, um die Gegend ſeiner väterlichen Stadt recht zu beſchauen; ein paarmal hab' ich ihn hinausgefahren, um ihm die Ge- müsgärtnerei zu zeigen, da grade jetzt die erſten wunder- barlichen Vorbereitungen dazu geſchehen, wo jeder Staude ihr Standort mit der Richtſchnur abgemeſſen wird, und wo dieſe fleißigen Gärtner mit ſo großer Sorgfalt je- dem Pflänzchen ſeinen Lebensunterhalt anweiſen; auch an's Stallburgsbrünnchen hab' ich ihn geführt, auf die Pfingſtwieſe, auf den Schneidewall; dann hinter die ſchlimme Mauer, wo in der Jugend Dein Spielplatz war; dann zum mainzer Thürchen hinaus; auch in Offenbach war er mit mir und der Mutter, und ſind gegen Abend bei Mondſchein zu Waſſer wieder in die Stadt gefahren; da hat unterwegs die Mutter recht losgelegt von all Deinen Geſchichten und Luſtparthieen; und da legte ich mich am Abend zu Bett mit trunkner Einbildung, was mir einen Traum eintrug, von dem die Erinnerung mir eine Zeit lang Nahrung ſein wird. Es war als lief ich in Weimar durch den Park,

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/242>, abgerufen am 24.11.2024.