brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergebo- ren, und zum ersten Mal glaubte ich an meine Se- ligkeit.
Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du be- täubst mich, jeder kleine Lärm ist mir zuwider; -- wär's nur ganz still in der Welt, und ich brauchte nichts mehr zu erfahren nach diesem einen Augenblick der mich schmerzt, und nach dem ich mich immer zu- rücksehnen werde. -- Ach! und was will ich denn mit Dir? -- Nicht viel; Dich ansehen oft und warm, Dich begleiten in Dein stilles Haus, Dich ausfragen in müßi- gen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, so wie ich Dein Angesicht ausgefragt hab' über seine frü- here und jetzige Schönheit. -- Auf der Bibliothek da konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büste aufzuschwingen, und meinen Schnabel wie eine Nach- tigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie Du damals durch die üppigen Gegenden der Jugend durchbraustest, und jetzt eben ganz still durch Deine Wiesen zogst; ach, und ich stürzte Dir Felssteine vor; und wie Du wieder Dich aufthürmtest; wahrlich es war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief ein- gewühlt.
brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergebo- ren, und zum erſten Mal glaubte ich an meine Se- ligkeit.
Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du be- täubſt mich, jeder kleine Lärm iſt mir zuwider; — wär's nur ganz ſtill in der Welt, und ich brauchte nichts mehr zu erfahren nach dieſem einen Augenblick der mich ſchmerzt, und nach dem ich mich immer zu- rückſehnen werde. — Ach! und was will ich denn mit Dir? — Nicht viel; Dich anſehen oft und warm, Dich begleiten in Dein ſtilles Haus, Dich ausfragen in müßi- gen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, ſo wie ich Dein Angeſicht ausgefragt hab' über ſeine frü- here und jetzige Schönheit. — Auf der Bibliothek da konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büſte aufzuſchwingen, und meinen Schnabel wie eine Nach- tigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie Du damals durch die üppigen Gegenden der Jugend durchbrauſteſt, und jetzt eben ganz ſtill durch Deine Wieſen zogſt; ach, und ich ſtürzte Dir Felsſteine vor; und wie Du wieder Dich aufthürmteſt; wahrlich es war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief ein- gewühlt.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0190"n="158"/>
brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf<lb/>
und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergebo-<lb/>
ren, und zum erſten Mal glaubte ich an meine Se-<lb/>
ligkeit.</p><lb/><p>Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du be-<lb/>
täubſt mich, jeder kleine Lärm iſt mir zuwider; —<lb/>
wär's nur ganz ſtill in der Welt, und ich brauchte<lb/>
nichts mehr zu erfahren nach dieſem einen Augenblick<lb/>
der mich ſchmerzt, und nach dem ich mich immer zu-<lb/>
rückſehnen werde. — Ach! und was will ich denn mit<lb/>
Dir? — Nicht viel; Dich anſehen oft und warm, Dich<lb/>
begleiten in Dein ſtilles Haus, Dich ausfragen in müßi-<lb/>
gen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, ſo<lb/>
wie ich Dein Angeſicht ausgefragt hab' über ſeine frü-<lb/>
here und jetzige Schönheit. — Auf der Bibliothek da<lb/>
konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büſte<lb/>
aufzuſchwingen, und meinen Schnabel wie eine Nach-<lb/>
tigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie<lb/>
Du damals durch die üppigen Gegenden der Jugend<lb/>
durchbrauſteſt, und jetzt eben ganz ſtill durch Deine<lb/>
Wieſen zogſt; ach, und ich ſtürzte Dir Felsſteine vor;<lb/>
und wie Du wieder Dich aufthürmteſt; wahrlich es<lb/>
war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief ein-<lb/>
gewühlt.</p><lb/></div></div></body></text></TEI>
[158/0190]
brachte man mir das blaue Couvert, und ich brach auf
und fand mich darin in göttlichem Glanz wiedergebo-
ren, und zum erſten Mal glaubte ich an meine Se-
ligkeit.
Was will ich denn? Ich begreif's nicht; Du be-
täubſt mich, jeder kleine Lärm iſt mir zuwider; —
wär's nur ganz ſtill in der Welt, und ich brauchte
nichts mehr zu erfahren nach dieſem einen Augenblick
der mich ſchmerzt, und nach dem ich mich immer zu-
rückſehnen werde. — Ach! und was will ich denn mit
Dir? — Nicht viel; Dich anſehen oft und warm, Dich
begleiten in Dein ſtilles Haus, Dich ausfragen in müßi-
gen Stunden über Dein früheres und jetziges Leben, ſo
wie ich Dein Angeſicht ausgefragt hab' über ſeine frü-
here und jetzige Schönheit. — Auf der Bibliothek da
konnte ich nicht umhin mich zu Deiner jungen Büſte
aufzuſchwingen, und meinen Schnabel wie eine Nach-
tigall dran zu wetzen; Du breiter voller Strom, wie
Du damals durch die üppigen Gegenden der Jugend
durchbrauſteſt, und jetzt eben ganz ſtill durch Deine
Wieſen zogſt; ach, und ich ſtürzte Dir Felsſteine vor;
und wie Du wieder Dich aufthürmteſt; wahrlich es
war nicht zu verwundern, denn ich hatte mich tief ein-
gewühlt.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/190>, abgerufen am 27.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.