und in den Kopf steigt; und wenn die Schläfe pochen und die Wangen glühen, und wenn er die Regentropfen aus den Haaren schüttelt, was ist das für eine Lust!
Auf dem umgestürzten Stamm ruhte ich aus, und da entdeckte ich unter den dick belaubten Ästen unzählige Vogelnester, kleine Meisen mit schwarzen Köpfchen und weißen Kehlen, sieben in einem Neste, und Finken und Distelfinken; die alten Vögel flatterten über meinem Kopf und wollten die jungen ätzen; ach, wenn's ihnen nur gelingt, sie groß zu ziehen in so schwieriger Lage; denk' nur: aus dem blauen Himmel herabgestürzt an die Erde, quer über einen reißenden Bach, wenn so ein Vögelchen heraus fällt, muß es gleich ersaufen, und noch dazu hängen alle Nester schief. -- Aber die hun- derttausend Bienen und Mücken die mich umschwirrten, die all' in der Linde Nahrung suchten; -- wenn Du doch das Leben mit angesehen hättest! Da ist kein Markt so reich an Verkehr, und alles war so bekannt, jedes suchte sein kleines Wirthshaus unter den Blüthen, wo es einkehrte; und emsig flog es wieder hinweg und begegnete dem Nachbar, und da summten sie an einan- der vorbei, als ob sie sich's sagten, wo gut Bier feil ist. -- Was schwätze ich Dir alles von der Linde! -- und doch ist's noch nicht genug; an der Wurzel hängt
und in den Kopf ſteigt; und wenn die Schläfe pochen und die Wangen glühen, und wenn er die Regentropfen aus den Haaren ſchüttelt, was iſt das für eine Luſt!
Auf dem umgeſtürzten Stamm ruhte ich aus, und da entdeckte ich unter den dick belaubten Äſten unzählige Vogelneſter, kleine Meiſen mit ſchwarzen Köpfchen und weißen Kehlen, ſieben in einem Neſte, und Finken und Diſtelfinken; die alten Vögel flatterten über meinem Kopf und wollten die jungen ätzen; ach, wenn's ihnen nur gelingt, ſie groß zu ziehen in ſo ſchwieriger Lage; denk' nur: aus dem blauen Himmel herabgeſtürzt an die Erde, quer über einen reißenden Bach, wenn ſo ein Vögelchen heraus fällt, muß es gleich erſaufen, und noch dazu hängen alle Neſter ſchief. — Aber die hun- derttauſend Bienen und Mücken die mich umſchwirrten, die all' in der Linde Nahrung ſuchten; — wenn Du doch das Leben mit angeſehen hätteſt! Da iſt kein Markt ſo reich an Verkehr, und alles war ſo bekannt, jedes ſuchte ſein kleines Wirthshaus unter den Blüthen, wo es einkehrte; und emſig flog es wieder hinweg und begegnete dem Nachbar, und da ſummten ſie an einan- der vorbei, als ob ſie ſich's ſagten, wo gut Bier feil iſt. — Was ſchwätze ich Dir alles von der Linde! — und doch iſt's noch nicht genug; an der Wurzel hängt
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und in den Kopf ſteigt; und wenn die Schläfe pochen
und die Wangen glühen, und wenn er die Regentropfen
aus den Haaren ſchüttelt, was iſt das für eine Luſt!
Auf dem umgeſtürzten Stamm ruhte ich aus, und
da entdeckte ich unter den dick belaubten Äſten unzählige
Vogelneſter, kleine Meiſen mit ſchwarzen Köpfchen und
weißen Kehlen, ſieben in einem Neſte, und Finken und
Diſtelfinken; die alten Vögel flatterten über meinem
Kopf und wollten die jungen ätzen; ach, wenn's ihnen
nur gelingt, ſie groß zu ziehen in ſo ſchwieriger Lage;
denk' nur: aus dem blauen Himmel herabgeſtürzt an
die Erde, quer über einen reißenden Bach, wenn ſo ein
Vögelchen heraus fällt, muß es gleich erſaufen, und
noch dazu hängen alle Neſter ſchief. — Aber die hun-
derttauſend Bienen und Mücken die mich umſchwirrten,
die all' in der Linde Nahrung ſuchten; — wenn Du
doch das Leben mit angeſehen hätteſt! Da iſt kein
Markt ſo reich an Verkehr, und alles war ſo bekannt,
jedes ſuchte ſein kleines Wirthshaus unter den Blüthen,
wo es einkehrte; und emſig flog es wieder hinweg und
begegnete dem Nachbar, und da ſummten ſie an einan-
der vorbei, als ob ſie ſich's ſagten, wo gut Bier feil
iſt. — Was ſchwätze ich Dir alles von der Linde! —
und doch iſt's noch nicht genug; an der Wurzel hängt
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/183>, abgerufen am 22.11.2024.
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