rufen mir zu: dort wohnt er! -- Was hält mich zurück? -- ich bin allein meiner heißen Sehnsucht Zeuge, und sollte mir's nicht gewähren, was ich bitte und flehe, daß ich Muth haben möge? Nein ich bin nicht allein, diese sehnsüchtigen Gedanken -- es sind Gestalten; sie sehen mir fragend unter die Augen: wie ich mein Leben ver- schleifen könne, ohne Hand in Hand mit ihm, ohne Aug' in Aug' in ihrem Feuer zu verglühen. -- O Goe- the, ertrag' mich, nicht alle Tage bin ich so schwach, daß ich mich hinwerfe vor Dir, und nicht aufhören will zu weinen, bis Du mir alles versprichst. Es geht wie ein schneidend Schwert durch mein Herz, daß ich bei Dir sein möchte; -- bei Dir, und nichts anders will ich, so wie das Leben vor mir liegt, weiß ich nichts, was ich noch fordern könnte, ich will nichts neues wissen, nichts soll sich regen, kein Blatt am Baum, die Lüfte sollen schweigen; stille soll's in der Zeit sein, und Du sollst ausharren in Gelassenheit, bis alle Schmerzen an Deiner Brust verwunden sind.
19ten Juni.
Gestern Abend war's so, lieber Goethe; plötzlich riß der Zugwind die Thür auf und löschte mir das Licht,
rufen mir zu: dort wohnt er! — Was hält mich zurück? — ich bin allein meiner heißen Sehnſucht Zeuge, und ſollte mir's nicht gewähren, was ich bitte und flehe, daß ich Muth haben möge? Nein ich bin nicht allein, dieſe ſehnſüchtigen Gedanken — es ſind Geſtalten; ſie ſehen mir fragend unter die Augen: wie ich mein Leben ver- ſchleifen könne, ohne Hand in Hand mit ihm, ohne Aug' in Aug' in ihrem Feuer zu verglühen. — O Goe- the, ertrag' mich, nicht alle Tage bin ich ſo ſchwach, daß ich mich hinwerfe vor Dir, und nicht aufhören will zu weinen, bis Du mir alles verſprichſt. Es geht wie ein ſchneidend Schwert durch mein Herz, daß ich bei Dir ſein möchte; — bei Dir, und nichts anders will ich, ſo wie das Leben vor mir liegt, weiß ich nichts, was ich noch fordern könnte, ich will nichts neues wiſſen, nichts ſoll ſich regen, kein Blatt am Baum, die Lüfte ſollen ſchweigen; ſtille ſoll's in der Zeit ſein, und Du ſollſt ausharren in Gelaſſenheit, bis alle Schmerzen an Deiner Bruſt verwunden ſind.
19ten Juni.
Geſtern Abend war's ſo, lieber Goethe; plötzlich riß der Zugwind die Thür auf und löſchte mir das Licht,
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rufen mir zu: dort wohnt er! — Was hält mich zurück?
— ich bin allein meiner heißen Sehnſucht Zeuge, und
ſollte mir's nicht gewähren, was ich bitte und flehe, daß
ich Muth haben möge? Nein ich bin nicht allein, dieſe
ſehnſüchtigen Gedanken — es ſind Geſtalten; ſie ſehen
mir fragend unter die Augen: wie ich mein Leben ver-
ſchleifen könne, ohne Hand in Hand mit ihm, ohne
Aug' in Aug' in ihrem Feuer zu verglühen. — O Goe-
the, ertrag' mich, nicht alle Tage bin ich ſo ſchwach,
daß ich mich hinwerfe vor Dir, und nicht aufhören will
zu weinen, bis Du mir alles verſprichſt. Es geht wie
ein ſchneidend Schwert durch mein Herz, daß ich bei
Dir ſein möchte; — bei Dir, und nichts anders will ich,
ſo wie das Leben vor mir liegt, weiß ich nichts, was
ich noch fordern könnte, ich will nichts neues wiſſen,
nichts ſoll ſich regen, kein Blatt am Baum, die Lüfte
ſollen ſchweigen; ſtille ſoll's in der Zeit ſein, und Du
ſollſt ausharren in Gelaſſenheit, bis alle Schmerzen an
Deiner Bruſt verwunden ſind.
19ten Juni.
Geſtern Abend war's ſo, lieber Goethe; plötzlich riß
der Zugwind die Thür auf und löſchte mir das Licht,
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/165>, abgerufen am 21.11.2024.
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