ich nichts mehr, als daß Du elend und unwillkühr- lich zerschmettert in's Grab stürzest; -- ihre Vermah- nungen aber erregten mir keine Furcht und keinen Schwindel, im Gegentheil war ich tollkühn; ich wußte Bescheid, ich hatte die triumphirende Überzeugung, daß ich von Geistern geschützt sei. Das Seltsame war, daß ich's oft vergaß und daß es mich oft mitten aus dem Schlaf weckte und ich noch in unbestimmter Nachtzeit hineilte, daß ich auf dem Hinweg immer Angst hatte und auf der Leiter jeden Abend wie den ersten, und daß ich oben allemal die Beseligung einer von schwe- rem Druck befreiten Brust empfand; -- oben, wenn Schnee lag, schrieb ich der Günderode ihren Namen hinein und: Jesus nazarenus, rex judaeorum als schützen- den Talismann darüber, und da war mir, als sei sie ge- sichert gegen böse Eingebungen.
Jetzt kam Kreuzer nach Marburg, um Savigny zu besuchen; häßlich wie er war, war es zugleich unbe- greiflich, daß er ein Weib interessiren könne; ich hörte, daß er von der Günderode sprach, in Ausdrücken, als ob er ein Recht an ihre Liebe habe; ich hatte in mei- nem, von allem äußeren Einfluß abgeschiednen Verhält- niß zu ihr, früher nichts davon geahndet, und war im Augenblick auf's Heftigste eifersüchtig; er nahm in mei-
ich nichts mehr, als daß Du elend und unwillkühr- lich zerſchmettert in's Grab ſtürzeſt; — ihre Vermah- nungen aber erregten mir keine Furcht und keinen Schwindel, im Gegentheil war ich tollkühn; ich wußte Beſcheid, ich hatte die triumphirende Überzeugung, daß ich von Geiſtern geſchützt ſei. Das Seltſame war, daß ich's oft vergaß und daß es mich oft mitten aus dem Schlaf weckte und ich noch in unbeſtimmter Nachtzeit hineilte, daß ich auf dem Hinweg immer Angſt hatte und auf der Leiter jeden Abend wie den erſten, und daß ich oben allemal die Beſeligung einer von ſchwe- rem Druck befreiten Bruſt empfand; — oben, wenn Schnee lag, ſchrieb ich der Günderode ihren Namen hinein und: Jesus nazarenus, rex judaeorum als ſchützen- den Talismann darüber, und da war mir, als ſei ſie ge- ſichert gegen böſe Eingebungen.
Jetzt kam Kreuzer nach Marburg, um Savigny zu beſuchen; häßlich wie er war, war es zugleich unbe- greiflich, daß er ein Weib intereſſiren könne; ich hörte, daß er von der Günderode ſprach, in Ausdrücken, als ob er ein Recht an ihre Liebe habe; ich hatte in mei- nem, von allem äußeren Einfluß abgeſchiednen Verhält- niß zu ihr, früher nichts davon geahndet, und war im Augenblick auf's Heftigſte eiferſüchtig; er nahm in mei-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0134"n="102"/>
ich nichts mehr, als daß Du elend und <hirendition="#g">unwillk</hi>ühr-<lb/>
lich zerſchmettert in's Grab ſtürzeſt; — ihre Vermah-<lb/>
nungen aber erregten mir keine Furcht und keinen<lb/>
Schwindel, im Gegentheil war ich tollkühn; ich wußte<lb/>
Beſcheid, ich hatte die triumphirende Überzeugung, daß<lb/>
ich von Geiſtern geſchützt ſei. Das Seltſame war, daß<lb/>
ich's oft vergaß und daß es mich oft mitten aus dem<lb/>
Schlaf weckte und ich noch in unbeſtimmter Nachtzeit<lb/>
hineilte, daß ich auf dem Hinweg immer Angſt hatte<lb/>
und auf der Leiter jeden Abend wie den erſten, und<lb/>
daß ich oben allemal die Beſeligung einer von ſchwe-<lb/>
rem Druck befreiten Bruſt empfand; — oben, wenn<lb/>
Schnee lag, ſchrieb ich der Günderode ihren Namen<lb/>
hinein und: <hirendition="#aq">Jesus nazarenus, rex judaeorum</hi> als ſchützen-<lb/>
den Talismann darüber, und da war mir, als ſei ſie ge-<lb/>ſichert gegen böſe Eingebungen.</p><lb/><p>Jetzt kam Kreuzer nach Marburg, um Savigny zu<lb/>
beſuchen; häßlich wie er war, war es zugleich unbe-<lb/>
greiflich, daß er ein Weib intereſſiren könne; ich hörte,<lb/>
daß er von der Günderode ſprach, in Ausdrücken, als<lb/>
ob er ein Recht an ihre Liebe habe; ich hatte in mei-<lb/>
nem, von allem äußeren Einfluß abgeſchiednen Verhält-<lb/>
niß zu ihr, früher nichts davon geahndet, und war im<lb/>
Augenblick auf's Heftigſte eiferſüchtig; er nahm in mei-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[102/0134]
ich nichts mehr, als daß Du elend und unwillkühr-
lich zerſchmettert in's Grab ſtürzeſt; — ihre Vermah-
nungen aber erregten mir keine Furcht und keinen
Schwindel, im Gegentheil war ich tollkühn; ich wußte
Beſcheid, ich hatte die triumphirende Überzeugung, daß
ich von Geiſtern geſchützt ſei. Das Seltſame war, daß
ich's oft vergaß und daß es mich oft mitten aus dem
Schlaf weckte und ich noch in unbeſtimmter Nachtzeit
hineilte, daß ich auf dem Hinweg immer Angſt hatte
und auf der Leiter jeden Abend wie den erſten, und
daß ich oben allemal die Beſeligung einer von ſchwe-
rem Druck befreiten Bruſt empfand; — oben, wenn
Schnee lag, ſchrieb ich der Günderode ihren Namen
hinein und: Jesus nazarenus, rex judaeorum als ſchützen-
den Talismann darüber, und da war mir, als ſei ſie ge-
ſichert gegen böſe Eingebungen.
Jetzt kam Kreuzer nach Marburg, um Savigny zu
beſuchen; häßlich wie er war, war es zugleich unbe-
greiflich, daß er ein Weib intereſſiren könne; ich hörte,
daß er von der Günderode ſprach, in Ausdrücken, als
ob er ein Recht an ihre Liebe habe; ich hatte in mei-
nem, von allem äußeren Einfluß abgeſchiednen Verhält-
niß zu ihr, früher nichts davon geahndet, und war im
Augenblick auf's Heftigſte eiferſüchtig; er nahm in mei-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/134>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.