die Sonne schmolz den Schnee zu meinen Füßen, ich suchte die Moose, und trug sie mit sammt der angefror- nen Erde nach Haus; -- so hatt' ich an dreißig bis vierzig Moosarten gesammelt, die alle in meiner kalten Schlaf- kammer in erdnen Schüsselchen auf Eis gelegt, mein Bett umblühten; ich schrieb ihr davon, ohne zu sagen, was es sei; ich schrieb in Versen: mein Bett steht mitten im kalten Land, umgeben von viel Hainen, die blühen in allen Farben, und da sind silberne Haine uralter Stämme, wie der Hain auf der Insel Cypros; die Bäume stehen dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äste; der Raa- sen, aus dem sie hervorwachsen, ist rosenroth und blaß- grün; ich trug den ganzen Hain heut' auf meiner er- starrten Hand in mein kaltes Eisbettland; -- da ant- wortet' sie wieder in Versen: das sind Moose ewiger Zeiten, die den Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur Jagd drauf reiten, ob die Lämmer drüber weiden, ob der Winterschnee sie decket, oder Frühling Blumen wecket; in dem Haine schallt es wieder, summen Mücken ihre Lieder; an der Silberbäume Wipfel hängen Tröpfchen Thau am Gipfel; in dem klaren Tröpfchen Thaue spie- gelt sich die ganze Aue; Du mußt andre Räthsel machen, will Dein Witz des meinen lachen!
Nun waren wir in's Räthsel geben und lösen
die Sonne ſchmolz den Schnee zu meinen Füßen, ich ſuchte die Mooſe, und trug ſie mit ſammt der angefror- nen Erde nach Haus; — ſo hatt' ich an dreißig bis vierzig Moosarten geſammelt, die alle in meiner kalten Schlaf- kammer in erdnen Schüſſelchen auf Eis gelegt, mein Bett umblühten; ich ſchrieb ihr davon, ohne zu ſagen, was es ſei; ich ſchrieb in Verſen: mein Bett ſteht mitten im kalten Land, umgeben von viel Hainen, die blühen in allen Farben, und da ſind ſilberne Haine uralter Stämme, wie der Hain auf der Inſel Cypros; die Bäume ſtehen dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äſte; der Raa- ſen, aus dem ſie hervorwachſen, iſt roſenroth und blaß- grün; ich trug den ganzen Hain heut' auf meiner er- ſtarrten Hand in mein kaltes Eisbettland; — da ant- wortet' ſie wieder in Verſen: das ſind Mooſe ewiger Zeiten, die den Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur Jagd drauf reiten, ob die Lämmer drüber weiden, ob der Winterſchnee ſie decket, oder Frühling Blumen wecket; in dem Haine ſchallt es wieder, ſummen Mücken ihre Lieder; an der Silberbäume Wipfel hängen Tröpfchen Thau am Gipfel; in dem klaren Tröpfchen Thaue ſpie- gelt ſich die ganze Aue; Du mußt andre Räthſel machen, will Dein Witz des meinen lachen!
Nun waren wir in's Räthſel geben und löſen
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die Sonne ſchmolz den Schnee zu meinen Füßen, ich
ſuchte die Mooſe, und trug ſie mit ſammt der angefror-
nen Erde nach Haus; — ſo hatt' ich an dreißig bis vierzig
Moosarten geſammelt, die alle in meiner kalten Schlaf-
kammer in erdnen Schüſſelchen auf Eis gelegt, mein Bett
umblühten; ich ſchrieb ihr davon, ohne zu ſagen, was
es ſei; ich ſchrieb in Verſen: mein Bett ſteht mitten im
kalten Land, umgeben von viel Hainen, die blühen in
allen Farben, und da ſind ſilberne Haine uralter Stämme,
wie der Hain auf der Inſel Cypros; die Bäume ſtehen
dicht gereiht und verflechten ihre gewaltigen Äſte; der Raa-
ſen, aus dem ſie hervorwachſen, iſt roſenroth und blaß-
grün; ich trug den ganzen Hain heut' auf meiner er-
ſtarrten Hand in mein kaltes Eisbettland; — da ant-
wortet' ſie wieder in Verſen: das ſind Mooſe ewiger
Zeiten, die den Teppich unterbreiten, ob die Herrn zur
Jagd drauf reiten, ob die Lämmer drüber weiden, ob
der Winterſchnee ſie decket, oder Frühling Blumen wecket;
in dem Haine ſchallt es wieder, ſummen Mücken ihre
Lieder; an der Silberbäume Wipfel hängen Tröpfchen
Thau am Gipfel; in dem klaren Tröpfchen Thaue ſpie-
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will Dein Witz des meinen lachen!
Nun waren wir in's Räthſel geben und löſen
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 98. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/130>, abgerufen am 24.11.2024.
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