und starr und todtenblaß, und konnte die Stimme nicht erheben; sie sagte leise: Bettine, brich mir das Herz nicht; -- ach, da wollte ich mich aufreißen und wollte ihr nicht weh thun; ich lächelte und weinte, und schluchzte laut, ihr schien immer banger zu werden, sie legte sich auf's Sopha; da wollt' ich scherzen und wollt' ihr be- weisen, daß ich alles für Scherz nehme; da sprachen wir von ihrem Testament; sie vermachte einen jeden etwas; mir vermachte sie einen kleinen Apoll unter einer Glas- glocke, dem sie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; ich schrieb alles auf; im nach Hause gehen machte ich mir Vorwürfe, daß ich so aufgeregt gewesen war; ich fühlte, daß es doch nur Scherz gewesen war, oder auch Phan- tasie die in ein Reich gehört, welches nicht in der Wirklichkeit seine Wahrheit behauptet; ich fühlte, daß ich unrecht gehabt hatte und nicht sie, die ja oft auf diese Weise mit mir gesprochen hatte. Am andern Tag führte ich ihr einen jungen französi- schen Husaren-Offizier zu mit hoher Bärenmütze; es war der Wilhelm von Türkheim, der schönste aller Jüng- linge, das wahre Kind voll Anmuth und Scherz; er war unvermuthet angekommen; ich sagte: da hab' ich Dir einen Liebhaber gebracht, der soll Dir das Leben wieder lieb machen. Er vertrieb uns allen die Melan-
und ſtarr und todtenblaß, und konnte die Stimme nicht erheben; ſie ſagte leiſe: Bettine, brich mir das Herz nicht; — ach, da wollte ich mich aufreißen und wollte ihr nicht weh thun; ich lächelte und weinte, und ſchluchzte laut, ihr ſchien immer banger zu werden, ſie legte ſich auf's Sopha; da wollt' ich ſcherzen und wollt' ihr be- weiſen, daß ich alles für Scherz nehme; da ſprachen wir von ihrem Teſtament; ſie vermachte einen jeden etwas; mir vermachte ſie einen kleinen Apoll unter einer Glas- glocke, dem ſie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; ich ſchrieb alles auf; im nach Hauſe gehen machte ich mir Vorwürfe, daß ich ſo aufgeregt geweſen war; ich fühlte, daß es doch nur Scherz geweſen war, oder auch Phan- taſie die in ein Reich gehört, welches nicht in der Wirklichkeit ſeine Wahrheit behauptet; ich fühlte, daß ich unrecht gehabt hatte und nicht ſie, die ja oft auf dieſe Weiſe mit mir geſprochen hatte. Am andern Tag führte ich ihr einen jungen franzöſi- ſchen Huſaren-Offizier zu mit hoher Bärenmütze; es war der Wilhelm von Türkheim, der ſchönſte aller Jüng- linge, das wahre Kind voll Anmuth und Scherz; er war unvermuthet angekommen; ich ſagte: da hab' ich Dir einen Liebhaber gebracht, der ſoll Dir das Leben wieder lieb machen. Er vertrieb uns allen die Melan-
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und ſtarr und todtenblaß, und konnte die Stimme nicht
erheben; ſie ſagte leiſe: Bettine, brich mir das Herz
nicht; — ach, da wollte ich mich aufreißen und wollte
ihr nicht weh thun; ich lächelte und weinte, und ſchluchzte
laut, ihr ſchien immer banger zu werden, ſie legte ſich
auf's Sopha; da wollt' ich ſcherzen und wollt' ihr be-
weiſen, daß ich alles für Scherz nehme; da ſprachen wir
von ihrem Teſtament; ſie vermachte einen jeden etwas;
mir vermachte ſie einen kleinen Apoll unter einer Glas-
glocke, dem ſie einen Lorbeerkranz umgehängt hatte; ich
ſchrieb alles auf; im nach Hauſe gehen machte ich mir
Vorwürfe, daß ich ſo aufgeregt geweſen war; ich fühlte,
daß es doch nur Scherz geweſen war, oder auch Phan-
taſie die in ein Reich gehört, welches nicht in
der Wirklichkeit ſeine Wahrheit behauptet;
ich fühlte, daß ich unrecht gehabt hatte und nicht ſie,
die ja oft auf dieſe Weiſe mit mir geſprochen hatte.
Am andern Tag führte ich ihr einen jungen franzöſi-
ſchen Huſaren-Offizier zu mit hoher Bärenmütze; es
war der Wilhelm von Türkheim, der ſchönſte aller Jüng-
linge, das wahre Kind voll Anmuth und Scherz; er
war unvermuthet angekommen; ich ſagte: da hab' ich
Dir einen Liebhaber gebracht, der ſoll Dir das Leben
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/124>, abgerufen am 22.11.2024.
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