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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835.

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Mäusethurm, mitten im stolzen Rhein, ragten zwei mäch-
tige Tannen empor, ihre flammenden durchbrannten
Aeste fielen herab in die zischende Fluth, von allen Sei-
ten donnerten sie und warfen Raketen, und schöne
Sträußer von Leuchtkugeln stiegen jungfräulich in die
Lüfte, und auf den Nachen sang man Lieder, und im
Vorbeifahren warf man sich Kränze zu und Trauben;
da wir nach hause kamen, so war's spät, aber der
Mond leuchtete hell; ich sah zum Fenster hinaus, und
hörte noch jenseits das Toben und Jauchzen der Heim-
kehrenden, und diesseits nach der Seite, wo sie todt am
Ufer gelegen hatte, war alles still, ich dacht', da ist kei-
ner mehr der nach ihr frägt, und ich ging hin, nicht
ohne Grausen, nein mir war bang, wie ich von wei-
tem die Nebel über den Weidenbüschen wogen sah, da
wär' ich bald wieder umgekehrt, es war mir, als sei sie es
selbst, die da schwebte und wogte, und sich ausdehnte;
ich ging hin, aber ich betete unterwegs, daß mich Gott
doch schützen möge; -- schützen? -- vor was? vor einem
Geist, dessen Herz voll liebendem Willen gewesen war
gegen mich im Leben; und nun er des irdischen Leib's
entledigt ist, soll ich ihn fürchtend fliehen? -- Ach sie
hat vielleicht einen bessren Theil ihres geistigen Vermö-
gens auf mich vererbt seit ihrem Tod. Vererben doch

Mäuſethurm, mitten im ſtolzen Rhein, ragten zwei mäch-
tige Tannen empor, ihre flammenden durchbrannten
Aeſte fielen herab in die ziſchende Fluth, von allen Sei-
ten donnerten ſie und warfen Raketen, und ſchöne
Sträußer von Leuchtkugeln ſtiegen jungfräulich in die
Lüfte, und auf den Nachen ſang man Lieder, und im
Vorbeifahren warf man ſich Kränze zu und Trauben;
da wir nach hauſe kamen, ſo war's ſpät, aber der
Mond leuchtete hell; ich ſah zum Fenſter hinaus, und
hörte noch jenſeits das Toben und Jauchzen der Heim-
kehrenden, und dieſſeits nach der Seite, wo ſie todt am
Ufer gelegen hatte, war alles ſtill, ich dacht', da iſt kei-
ner mehr der nach ihr frägt, und ich ging hin, nicht
ohne Grauſen, nein mir war bang, wie ich von wei-
tem die Nebel über den Weidenbüſchen wogen ſah, da
wär' ich bald wieder umgekehrt, es war mir, als ſei ſie es
ſelbſt, die da ſchwebte und wogte, und ſich ausdehnte;
ich ging hin, aber ich betete unterwegs, daß mich Gott
doch ſchützen möge; — ſchützen? — vor was? vor einem
Geiſt, deſſen Herz voll liebendem Willen geweſen war
gegen mich im Leben; und nun er des irdiſchen Leib's
entledigt iſt, ſoll ich ihn fürchtend fliehen? — Ach ſie
hat vielleicht einen beſſren Theil ihres geiſtigen Vermö-
gens auf mich vererbt ſeit ihrem Tod. Vererben doch

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[89/0121] Mäuſethurm, mitten im ſtolzen Rhein, ragten zwei mäch- tige Tannen empor, ihre flammenden durchbrannten Aeſte fielen herab in die ziſchende Fluth, von allen Sei- ten donnerten ſie und warfen Raketen, und ſchöne Sträußer von Leuchtkugeln ſtiegen jungfräulich in die Lüfte, und auf den Nachen ſang man Lieder, und im Vorbeifahren warf man ſich Kränze zu und Trauben; da wir nach hauſe kamen, ſo war's ſpät, aber der Mond leuchtete hell; ich ſah zum Fenſter hinaus, und hörte noch jenſeits das Toben und Jauchzen der Heim- kehrenden, und dieſſeits nach der Seite, wo ſie todt am Ufer gelegen hatte, war alles ſtill, ich dacht', da iſt kei- ner mehr der nach ihr frägt, und ich ging hin, nicht ohne Grauſen, nein mir war bang, wie ich von wei- tem die Nebel über den Weidenbüſchen wogen ſah, da wär' ich bald wieder umgekehrt, es war mir, als ſei ſie es ſelbſt, die da ſchwebte und wogte, und ſich ausdehnte; ich ging hin, aber ich betete unterwegs, daß mich Gott doch ſchützen möge; — ſchützen? — vor was? vor einem Geiſt, deſſen Herz voll liebendem Willen geweſen war gegen mich im Leben; und nun er des irdiſchen Leib's entledigt iſt, ſoll ich ihn fürchtend fliehen? — Ach ſie hat vielleicht einen beſſren Theil ihres geiſtigen Vermö- gens auf mich vererbt ſeit ihrem Tod. Vererben doch

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Zitationshilfe: Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/121>, abgerufen am 25.07.2024.