und doch hatte ich eine Art Furcht; mein Geist war kühn und mein Herz war zaghaft; ja, ich hatte ein wahres Ringen in mir; -- ich wollte schreiben, ich sah in ein unermeßliches Dunkel, ich mußte mich auch äußer- lich vom Licht entfernen; am liebsten war mir, wenn ich die Fenster verhing und doch durch sah, daß draußen die Sonne schien; ein Blumenstrauß, dessen Farben sich durch die Dämmerung stahlen, der konnte mich fesseln und von der innern Angst befreien, so daß ich mich vergaß, während ich in die schattigflammenden Blumen- kelche sah, und Duft und Farbe und Formen gleichsam ein Ganzes bildeten; Wahrheiten hab' ich da erfahren, von denen ich ausging in meinen Träumereien und die mir plötzlich den gebundnen Geist lösten, daß ich ruhig und gelassen das, was mir ahndete, fassen und aus- sprechen konnte; -- indem ich den Blumenstrauß der nur durch eine Spalte im Fensterladen erleuchtet war betrachtete, erkannte ich die Schönheit der Farbe, das Übermächtige der Schönheit; die Farbe war selbst ein Geist, der mich anredete wie der Duft und die Form der Blumen; -- das erste, was ich durch sie vernahm, war, daß alles in den Naturgebilden durch das Gött- liche erzeugt sei, daß Schönheit der göttliche Geist sei, im Mutterschoos der Natur erzeugt; daß die Schönheit
und doch hatte ich eine Art Furcht; mein Geiſt war kühn und mein Herz war zaghaft; ja, ich hatte ein wahres Ringen in mir; — ich wollte ſchreiben, ich ſah in ein unermeßliches Dunkel, ich mußte mich auch äußer- lich vom Licht entfernen; am liebſten war mir, wenn ich die Fenſter verhing und doch durch ſah, daß draußen die Sonne ſchien; ein Blumenſtrauß, deſſen Farben ſich durch die Dämmerung ſtahlen, der konnte mich feſſeln und von der innern Angſt befreien, ſo daß ich mich vergaß, während ich in die ſchattigflammenden Blumen- kelche ſah, und Duft und Farbe und Formen gleichſam ein Ganzes bildeten; Wahrheiten hab' ich da erfahren, von denen ich ausging in meinen Träumereien und die mir plötzlich den gebundnen Geiſt löſten, daß ich ruhig und gelaſſen das, was mir ahndete, faſſen und aus- ſprechen konnte; — indem ich den Blumenſtrauß der nur durch eine Spalte im Fenſterladen erleuchtet war betrachtete, erkannte ich die Schönheit der Farbe, das Übermächtige der Schönheit; die Farbe war ſelbſt ein Geiſt, der mich anredete wie der Duft und die Form der Blumen; — das erſte, was ich durch ſie vernahm, war, daß alles in den Naturgebilden durch das Gött- liche erzeugt ſei, daß Schönheit der göttliche Geiſt ſei, im Mutterſchoos der Natur erzeugt; daß die Schönheit
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und doch hatte ich eine Art Furcht; mein Geiſt war
kühn und mein Herz war zaghaft; ja, ich hatte ein
wahres Ringen in mir; — ich wollte ſchreiben, ich ſah
in ein unermeßliches Dunkel, ich mußte mich auch äußer-
lich vom Licht entfernen; am liebſten war mir, wenn
ich die Fenſter verhing und doch durch ſah, daß draußen
die Sonne ſchien; ein Blumenſtrauß, deſſen Farben ſich
durch die Dämmerung ſtahlen, der konnte mich feſſeln
und von der innern Angſt befreien, ſo daß ich mich
vergaß, während ich in die ſchattigflammenden Blumen-
kelche ſah, und Duft und Farbe und Formen gleichſam
ein Ganzes bildeten; Wahrheiten hab' ich da erfahren,
von denen ich ausging in meinen Träumereien und die
mir plötzlich den gebundnen Geiſt löſten, daß ich ruhig
und gelaſſen das, was mir ahndete, faſſen und aus-
ſprechen konnte; — indem ich den Blumenſtrauß der
nur durch eine Spalte im Fenſterladen erleuchtet war
betrachtete, erkannte ich die Schönheit der Farbe, das
Übermächtige der Schönheit; die Farbe war ſelbſt ein
Geiſt, der mich anredete wie der Duft und die Form
der Blumen; — das erſte, was ich durch ſie vernahm,
war, daß alles in den Naturgebilden durch das Gött-
liche erzeugt ſei, daß Schönheit der göttliche Geiſt ſei,
im Mutterſchoos der Natur erzeugt; daß die Schönheit
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 82. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/114>, abgerufen am 24.11.2024.
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