fall' nicht; jetzt weiß ich erst, wie glücklich ich in der damaligen Zeit war, denn weil alles, auch das Ge- ringste sich als Erinnerung von Genuß in mich geprägt hat; -- sie war so sanft und weich in allen Zügen, wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augen- wimpern; wenn sie lachte so war es nicht laut, es war vielmehr ein sanftes, gedämpftes Girren in dem sich Lust und Heiterkeit sehr vernehmlich aussprach; -- sie ging nicht, sie wandelte, wenn man verstehen will, was ich damit auszusprechen meine; -- ihr Kleid war ein Gewand, was sie in schmeichelnden Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; -- ihr Wuchs war hoch, ihre Gestalt war zu fließend, als daß man es mit dem Wort schlank ausdrücken könnte; sie war schüchtern-freundlich, und viel zu willenlos, als daß sie in der Gesellschaft sich bemerkbar gemacht hätte. Einmal aß sie bei dem Fürst Primas mit allen Stifts- damen zu Mittag; sie war im schwarzen Ordenskleid mit langer Schleppe und weißem Kragen mit dem Or- denskreuz; da machte jemand die Bemerkung, sie sähe aus wie eine Scheingestalt unter den andern Damen, als ob sie ein Geist sei, der eben in die Luft zerfließen werde. -- Sie las mir ihre Gedichte vor und freute
fall' nicht; jetzt weiß ich erſt, wie glücklich ich in der damaligen Zeit war, denn weil alles, auch das Ge- ringſte ſich als Erinnerung von Genuß in mich geprägt hat; — ſie war ſo ſanft und weich in allen Zügen, wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augen- wimpern; wenn ſie lachte ſo war es nicht laut, es war vielmehr ein ſanftes, gedämpftes Girren in dem ſich Luſt und Heiterkeit ſehr vernehmlich ausſprach; — ſie ging nicht, ſie wandelte, wenn man verſtehen will, was ich damit auszuſprechen meine; — ihr Kleid war ein Gewand, was ſie in ſchmeichelnden Falten umgab, das kam von ihren weichen Bewegungen her; — ihr Wuchs war hoch, ihre Geſtalt war zu fließend, als daß man es mit dem Wort ſchlank ausdrücken könnte; ſie war ſchüchtern-freundlich, und viel zu willenlos, als daß ſie in der Geſellſchaft ſich bemerkbar gemacht hätte. Einmal aß ſie bei dem Fürſt Primas mit allen Stifts- damen zu Mittag; ſie war im ſchwarzen Ordenskleid mit langer Schleppe und weißem Kragen mit dem Or- denskreuz; da machte jemand die Bemerkung, ſie ſähe aus wie eine Scheingeſtalt unter den andern Damen, als ob ſie ein Geiſt ſei, der eben in die Luft zerfließen werde. — Sie las mir ihre Gedichte vor und freute
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fall' nicht; jetzt weiß ich erſt, wie glücklich ich in der
damaligen Zeit war, denn weil alles, auch das Ge-
ringſte ſich als Erinnerung von Genuß in mich geprägt
hat; — ſie war ſo ſanft und weich in allen Zügen,
wie eine Blondine. Sie hatte braunes Haar, aber
blaue Augen, die waren gedeckt mit langen Augen-
wimpern; wenn ſie lachte ſo war es nicht laut, es war
vielmehr ein ſanftes, gedämpftes Girren in dem ſich
Luſt und Heiterkeit ſehr vernehmlich ausſprach; — ſie
ging nicht, ſie wandelte, wenn man verſtehen will, was
ich damit auszuſprechen meine; — ihr Kleid war ein
Gewand, was ſie in ſchmeichelnden Falten umgab, das
kam von ihren weichen Bewegungen her; — ihr Wuchs
war hoch, ihre Geſtalt war zu fließend, als daß man
es mit dem Wort ſchlank ausdrücken könnte; ſie war
ſchüchtern-freundlich, und viel zu willenlos, als daß
ſie in der Geſellſchaft ſich bemerkbar gemacht hätte.
Einmal aß ſie bei dem Fürſt Primas mit allen Stifts-
damen zu Mittag; ſie war im ſchwarzen Ordenskleid
mit langer Schleppe und weißem Kragen mit dem Or-
denskreuz; da machte jemand die Bemerkung, ſie ſähe
aus wie eine Scheingeſtalt unter den andern Damen,
als ob ſie ein Geiſt ſei, der eben in die Luft zerfließen
werde. — Sie las mir ihre Gedichte vor und freute
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/109>, abgerufen am 24.11.2024.
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