beiden Händen ein herrliches Trinkgefäß hält, was den Becher bildet. Kann man sich was Schöneres den- ken? -- Nein! Der wilde Adler, der ganz leidenschaft- lich den ruhigen Jüngling gleichsam anfällt und doch an ihm ausruht, und jener, der so spielend den Becher emporhebt, ist gar zu schön, und ich hab' allerlei dabei gedacht. Eine andre Wand will ich Ihr noch beschreiben und dann zu Bette gehn, denn ich bin müde; stell Sie sich ein goldnes Honigwaben vor, aus dem die ganze Wand besteht, lauter achteckige goldne Zellen, in jeder ein andrer Heiliger zierlich, ja wahrhaft reizend in Holz geschnitzt, mit schönen Kleidern angethan, in bun- ter Farbe gemalt; in der Mitte wo die Zelle für den Bienenweisel ist, da ist Christus, auf beiden Seiten die vier Evangelisten, dann rund umher die Apostel, dann die Erzväter, endlich die Märtyrer, zuletzt die Einsiedler. Diese Wand hab' ich in Oberwesel als Hauptaltar in der Kirche aufgestellt gesehen; es ist keine Figur die man nicht gleich als schönes, naives, in seiner Art eigenthüm- liches Bild abmalen könnte. Adieu Frau Rath, ich muß abbrechen, sonst könnte der Tag heran kommen über mei- nem extemporiren.
Bettine.
beiden Händen ein herrliches Trinkgefäß hält, was den Becher bildet. Kann man ſich was Schöneres den- ken? — Nein! Der wilde Adler, der ganz leidenſchaft- lich den ruhigen Jüngling gleichſam anfällt und doch an ihm ausruht, und jener, der ſo ſpielend den Becher emporhebt, iſt gar zu ſchön, und ich hab' allerlei dabei gedacht. Eine andre Wand will ich Ihr noch beſchreiben und dann zu Bette gehn, denn ich bin müde; ſtell Sie ſich ein goldnes Honigwaben vor, aus dem die ganze Wand beſteht, lauter achteckige goldne Zellen, in jeder ein andrer Heiliger zierlich, ja wahrhaft reizend in Holz geſchnitzt, mit ſchönen Kleidern angethan, in bun- ter Farbe gemalt; in der Mitte wo die Zelle für den Bienenweiſel iſt, da iſt Chriſtus, auf beiden Seiten die vier Evangeliſten, dann rund umher die Apoſtel, dann die Erzväter, endlich die Märtyrer, zuletzt die Einſiedler. Dieſe Wand hab' ich in Oberweſel als Hauptaltar in der Kirche aufgeſtellt geſehen; es iſt keine Figur die man nicht gleich als ſchönes, naives, in ſeiner Art eigenthüm- liches Bild abmalen könnte. Adieu Frau Rath, ich muß abbrechen, ſonſt könnte der Tag heran kommen über mei- nem extemporiren.
Bettine.
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beiden Händen ein herrliches Trinkgefäß hält, was den
Becher bildet. Kann man ſich was Schöneres den-
ken? — Nein! Der wilde Adler, der ganz leidenſchaft-
lich den ruhigen Jüngling gleichſam anfällt und doch
an ihm ausruht, und jener, der ſo ſpielend den Becher
emporhebt, iſt gar zu ſchön, und ich hab' allerlei dabei
gedacht. Eine andre Wand will ich Ihr noch beſchreiben
und dann zu Bette gehn, denn ich bin müde; ſtell Sie
ſich ein goldnes Honigwaben vor, aus dem die ganze
Wand beſteht, lauter achteckige goldne Zellen, in jeder
ein andrer Heiliger zierlich, ja wahrhaft reizend in
Holz geſchnitzt, mit ſchönen Kleidern angethan, in bun-
ter Farbe gemalt; in der Mitte wo die Zelle für den
Bienenweiſel iſt, da iſt Chriſtus, auf beiden Seiten die
vier Evangeliſten, dann rund umher die Apoſtel, dann
die Erzväter, endlich die Märtyrer, zuletzt die Einſiedler.
Dieſe Wand hab' ich in Oberweſel als Hauptaltar in
der Kirche aufgeſtellt geſehen; es iſt keine Figur die man
nicht gleich als ſchönes, naives, in ſeiner Art eigenthüm-
liches Bild abmalen könnte. Adieu Frau Rath, ich muß
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Arnim, Bettina von: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Bd. 1. Berlin, 1835, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnimb_goethe01_1835/102>, abgerufen am 24.11.2024.
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