Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 3. Heidelberg, 1808.7. Erziehung durch Leidenschaft. O Zorn, du Abgrund des Verderbens, Du unbarmherziger Tyrann; Du frissest, tödtest sonder Sterben, Und brennest stets von neuem an; Wer da geräth in deine Haft Bekommt der Hölle Eigenschaft. Ach wären wir verwahret blieben, Vor deiner strengen Widrigkeit; Wie selig wären wir im Lieben, Und wüßten nicht, was Ungleichheit Im Guten und im Bösen sey, So wären wir des Zornes frey. O daß wir doch wohl mögten fassen, Woher der Grimm entsprungen sey; Und stünden in der Lieb gelassen, Und hielten uns des Zornes frey; Der Hochmuth und die Eigenheit Erregen Zorn und Grimmigkeit. Laß mich aus Eigenheit ausgehen, Und aller Selbheit sterben ab; Die Lieb heiß in mir auferstehen, Und allen Zorn schick in das Grab; Daß keine Noth mir mehr setz zu, Kein Widerwille brech die Ruh. Die Liebe, die nicht ist ihr eigen, Die sich in allem macht gemein; 7. Erziehung durch Leidenſchaft. O Zorn, du Abgrund des Verderbens, Du unbarmherziger Tyrann; Du friſſeſt, toͤdteſt ſonder Sterben, Und brenneſt ſtets von neuem an; Wer da geraͤth in deine Haft Bekommt der Hoͤlle Eigenſchaft. Ach waͤren wir verwahret blieben, Vor deiner ſtrengen Widrigkeit; Wie ſelig waͤren wir im Lieben, Und wuͤßten nicht, was Ungleichheit Im Guten und im Boͤſen ſey, So waͤren wir des Zornes frey. O daß wir doch wohl moͤgten faſſen, Woher der Grimm entſprungen ſey; Und ſtuͤnden in der Lieb gelaſſen, Und hielten uns des Zornes frey; Der Hochmuth und die Eigenheit Erregen Zorn und Grimmigkeit. Laß mich aus Eigenheit ausgehen, Und aller Selbheit ſterben ab; Die Lieb heiß in mir auferſtehen, Und allen Zorn ſchick in das Grab; Daß keine Noth mir mehr ſetz zu, Kein Widerwille brech die Ruh. Die Liebe, die nicht iſt ihr eigen, Die ſich in allem macht gemein; <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0224" n="214"/> <div n="2"> <head>7. <hi rendition="#g">Erziehung durch Leidenſchaft</hi>.</head><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">O</hi> Zorn, du Abgrund des Verderbens,</l><lb/> <l>Du unbarmherziger Tyrann;</l><lb/> <l>Du friſſeſt, toͤdteſt ſonder Sterben,</l><lb/> <l>Und brenneſt ſtets von neuem an;</l><lb/> <l>Wer da geraͤth in deine Haft</l><lb/> <l>Bekommt der Hoͤlle Eigenſchaft.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ach waͤren wir verwahret blieben,</l><lb/> <l>Vor deiner ſtrengen Widrigkeit;</l><lb/> <l>Wie ſelig waͤren wir im Lieben,</l><lb/> <l>Und wuͤßten nicht, was Ungleichheit</l><lb/> <l>Im Guten und im Boͤſen ſey,</l><lb/> <l>So waͤren wir des Zornes frey.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>O daß wir doch wohl moͤgten faſſen,</l><lb/> <l>Woher der Grimm entſprungen ſey;</l><lb/> <l>Und ſtuͤnden in der Lieb gelaſſen,</l><lb/> <l>Und hielten uns des Zornes frey;</l><lb/> <l>Der Hochmuth und die Eigenheit</l><lb/> <l>Erregen Zorn und Grimmigkeit.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Laß mich aus Eigenheit ausgehen,</l><lb/> <l>Und aller Selbheit ſterben ab;</l><lb/> <l>Die Lieb heiß in mir auferſtehen,</l><lb/> <l>Und allen Zorn ſchick in das Grab;</l><lb/> <l>Daß keine Noth mir mehr ſetz zu,</l><lb/> <l>Kein Widerwille brech die Ruh.</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Die Liebe, die nicht iſt ihr eigen,</l><lb/> <l>Die ſich in allem macht gemein;</l><lb/> </lg> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [214/0224]
7. Erziehung durch Leidenſchaft.
O Zorn, du Abgrund des Verderbens,
Du unbarmherziger Tyrann;
Du friſſeſt, toͤdteſt ſonder Sterben,
Und brenneſt ſtets von neuem an;
Wer da geraͤth in deine Haft
Bekommt der Hoͤlle Eigenſchaft.
Ach waͤren wir verwahret blieben,
Vor deiner ſtrengen Widrigkeit;
Wie ſelig waͤren wir im Lieben,
Und wuͤßten nicht, was Ungleichheit
Im Guten und im Boͤſen ſey,
So waͤren wir des Zornes frey.
O daß wir doch wohl moͤgten faſſen,
Woher der Grimm entſprungen ſey;
Und ſtuͤnden in der Lieb gelaſſen,
Und hielten uns des Zornes frey;
Der Hochmuth und die Eigenheit
Erregen Zorn und Grimmigkeit.
Laß mich aus Eigenheit ausgehen,
Und aller Selbheit ſterben ab;
Die Lieb heiß in mir auferſtehen,
Und allen Zorn ſchick in das Grab;
Daß keine Noth mir mehr ſetz zu,
Kein Widerwille brech die Ruh.
Die Liebe, die nicht iſt ihr eigen,
Die ſich in allem macht gemein;
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