Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 2. Heidelberg, 1808.Nu ick dy nich stören kan, so gah du all dar hen. Alle bey Gott, die sich lieben. (Mündlich.) Es hatt' ein Herr ein Töchterlein, Mit Nahmen hieß es Annelein, Ein Herrn wollt man ihr geben, Frau Markgräfin sollte es werden. Ach Vater ich nehm noch keinen Mann, Ich bin nicht älter dann elf Jahr, Ich bin ein Kind und sterb fürwahr. Es stund nicht an ein halbes Jahr, Das Fräulein mit dem Kinde ging, Sie bat ihren Herrn im Guten, Er sollt jezt holen ihre Mutter. Und als er in den finstern Wald eintrit, Ihm seine Schwieger entgegen schritt: "Wo habt ihr dann euer Fräulein?" Mein Fräulein liegt in großer Noth, Fürcht, wenn wir kommen, sei sie schon todt; Mein Fräulein liegt in Ehren Ein Kind soll sie gebähren. Und als er über die Heide ritt, Ein Hirtlein hört er pfeifen, Ein Glöcklein hört er läuten. Nu ick dy nich ſtoͤren kan, ſo gah du all dar hen. Alle bey Gott, die ſich lieben. (Muͤndlich.) Es hatt' ein Herr ein Toͤchterlein, Mit Nahmen hieß es Annelein, Ein Herrn wollt man ihr geben, Frau Markgraͤfin ſollte es werden. Ach Vater ich nehm noch keinen Mann, Ich bin nicht aͤlter dann elf Jahr, Ich bin ein Kind und ſterb fuͤrwahr. Es ſtund nicht an ein halbes Jahr, Das Fraͤulein mit dem Kinde ging, Sie bat ihren Herrn im Guten, Er ſollt jezt holen ihre Mutter. Und als er in den finſtern Wald eintrit, Ihm ſeine Schwieger entgegen ſchritt: „Wo habt ihr dann euer Fraͤulein?“ Mein Fraͤulein liegt in großer Noth, Fuͤrcht, wenn wir kommen, ſei ſie ſchon todt; Mein Fraͤulein liegt in Ehren Ein Kind ſoll ſie gebaͤhren. Und als er uͤber die Heide ritt, Ein Hirtlein hoͤrt er pfeifen, Ein Gloͤcklein hoͤrt er laͤuten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <lg n="1"> <pb n="250" facs="#f0262"/> <l>Nu ick dy nich ſtoͤren kan, ſo gah du all dar hen.</l><lb/> <l>Do he tom Avenddanz kahm, to de Kinder ſpeele gahn,</l><lb/> <l>Se leth er Ogen herummer gahn, ehr ſe den Richter fand,</l><lb/> <l>De Richter de was grot, he toeg aff ſynen Hoet,</l><lb/> <l>He toeg aff ſynen Hoet, he kuͤſſede ſe voͤr den Mund</l><lb/> <l>An den Tanz dar ſe ſtund.</l> </lg> </lg> </div><lb/> <milestone unit="section" rendition="#hr"/> <div n="2"> <head><hi rendition="#g">Alle bey Gott, die ſich lieben</hi>.</head><lb/> <p rendition="#c">(Muͤndlich.)</p><lb/> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l><hi rendition="#in">E</hi>s hatt' ein Herr ein Toͤchterlein,</l><lb/> <l>Mit Nahmen hieß es Annelein,</l><lb/> <l>Ein Herrn wollt man ihr geben,</l><lb/> <l>Frau Markgraͤfin ſollte es werden.</l> </lg><lb/> <lg n="2"> <l>Ach Vater ich nehm noch keinen Mann,</l><lb/> <l>Ich bin nicht aͤlter dann elf Jahr,</l><lb/> <l>Ich bin ein Kind und ſterb fuͤrwahr.</l> </lg><lb/> <lg n="3"> <l>Es ſtund nicht an ein halbes Jahr,</l><lb/> <l>Das Fraͤulein mit dem Kinde ging,</l><lb/> <l>Sie bat ihren Herrn im Guten,</l><lb/> <l>Er ſollt jezt holen ihre Mutter.</l> </lg><lb/> <lg n="4"> <l>Und als er in den finſtern Wald eintrit,</l><lb/> <l>Ihm ſeine Schwieger entgegen ſchritt:</l><lb/> <l>„Wo habt ihr dann euer Fraͤulein?“</l> </lg><lb/> <lg n="5"> <l>Mein Fraͤulein liegt in großer Noth,</l><lb/> <l>Fuͤrcht, wenn wir kommen, ſei ſie ſchon todt;</l><lb/> <l>Mein Fraͤulein liegt in Ehren</l><lb/> <l>Ein Kind ſoll ſie gebaͤhren.</l> </lg><lb/> <lg n="6"> <l>Und als er uͤber die Heide ritt,</l><lb/> <l>Ein Hirtlein hoͤrt er pfeifen,</l><lb/> <l>Ein Gloͤcklein hoͤrt er laͤuten.</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [250/0262]
Nu ick dy nich ſtoͤren kan, ſo gah du all dar hen.
Do he tom Avenddanz kahm, to de Kinder ſpeele gahn,
Se leth er Ogen herummer gahn, ehr ſe den Richter fand,
De Richter de was grot, he toeg aff ſynen Hoet,
He toeg aff ſynen Hoet, he kuͤſſede ſe voͤr den Mund
An den Tanz dar ſe ſtund.
Alle bey Gott, die ſich lieben.
(Muͤndlich.)
Es hatt' ein Herr ein Toͤchterlein,
Mit Nahmen hieß es Annelein,
Ein Herrn wollt man ihr geben,
Frau Markgraͤfin ſollte es werden.
Ach Vater ich nehm noch keinen Mann,
Ich bin nicht aͤlter dann elf Jahr,
Ich bin ein Kind und ſterb fuͤrwahr.
Es ſtund nicht an ein halbes Jahr,
Das Fraͤulein mit dem Kinde ging,
Sie bat ihren Herrn im Guten,
Er ſollt jezt holen ihre Mutter.
Und als er in den finſtern Wald eintrit,
Ihm ſeine Schwieger entgegen ſchritt:
„Wo habt ihr dann euer Fraͤulein?“
Mein Fraͤulein liegt in großer Noth,
Fuͤrcht, wenn wir kommen, ſei ſie ſchon todt;
Mein Fraͤulein liegt in Ehren
Ein Kind ſoll ſie gebaͤhren.
Und als er uͤber die Heide ritt,
Ein Hirtlein hoͤrt er pfeifen,
Ein Gloͤcklein hoͤrt er laͤuten.
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Zitationshilfe: | Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 2. Heidelberg, 1808, S. 250. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn02_1808/262>, abgerufen am 03.03.2025. |