Sankt Daniel zu ihr da lacht, Die Jungfrau spricht: "Was hast gelacht?"
Sankt Daniel spricht: "Ich wacht zu Nacht, "Zwey Dieb die hatten sich erdacht:
"Vermassen sich wohl zu geschwind, "Zu stehln dein allerliebstes Kind."
Sie spricht: "Das wird nun werden gut, "Dann wer mein Kindlein stehlen thut,
"Den müst ihr binden an die Schwell, "Daß er nicht kann von seiner Stell."
"Sankt Raphael, Sankt Michael, "Ihr bindet ihn da an die Stell."
Sankt Daniel sprach: "Ey seht nur an, "Da stehen sie noch Mann für Mann.
"Der Schweiß der läuft von ihnen sehr, "Die wagen umzusehn nicht mehr,
"Gebunden sind in eiserm Band, "An Gottes Erd, von Gottes Hand,
"Sie stehen da wie Stock und Stein, "Bis sie die Stern gezählet ein,
"Bis sie den Sand am Meer gezählt, "Die ungebornen Kind der Welt."
Sankt Daniel zu ihr da lacht, Die Jungfrau ſpricht: „Was haſt gelacht?“
Sankt Daniel ſpricht: „Ich wacht zu Nacht, „Zwey Dieb die hatten ſich erdacht:
„Vermaſſen ſich wohl zu geſchwind, „Zu ſtehln dein allerliebſtes Kind.“
Sie ſpricht: „Das wird nun werden gut, „Dann wer mein Kindlein ſtehlen thut,
„Den muͤſt ihr binden an die Schwell, „Daß er nicht kann von ſeiner Stell.“
„Sankt Raphael, Sankt Michael, „Ihr bindet ihn da an die Stell.“
Sankt Daniel ſprach: „Ey ſeht nur an, „Da ſtehen ſie noch Mann fuͤr Mann.
„Der Schweiß der laͤuft von ihnen ſehr, „Die wagen umzuſehn nicht mehr,
„Gebunden ſind in eiſerm Band, „An Gottes Erd, von Gottes Hand,
„Sie ſtehen da wie Stock und Stein, „Bis ſie die Stern gezaͤhlet ein,
„Bis ſie den Sand am Meer gezaͤhlt, „Die ungebornen Kind der Welt.“
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Sankt Daniel zu ihr da lacht,
Die Jungfrau ſpricht: „Was haſt gelacht?“
Sankt Daniel ſpricht: „Ich wacht zu Nacht,
„Zwey Dieb die hatten ſich erdacht:
„Vermaſſen ſich wohl zu geſchwind,
„Zu ſtehln dein allerliebſtes Kind.“
Sie ſpricht: „Das wird nun werden gut,
„Dann wer mein Kindlein ſtehlen thut,
„Den muͤſt ihr binden an die Schwell,
„Daß er nicht kann von ſeiner Stell.“
„Sankt Raphael, Sankt Michael,
„Ihr bindet ihn da an die Stell.“
Sankt Daniel ſprach: „Ey ſeht nur an,
„Da ſtehen ſie noch Mann fuͤr Mann.
„Der Schweiß der laͤuft von ihnen ſehr,
„Die wagen umzuſehn nicht mehr,
„Gebunden ſind in eiſerm Band,
„An Gottes Erd, von Gottes Hand,
„Sie ſtehen da wie Stock und Stein,
„Bis ſie die Stern gezaͤhlet ein,
„Bis ſie den Sand am Meer gezaͤhlt,
„Die ungebornen Kind der Welt.“
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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/85>, abgerufen am 29.07.2024.
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