schaft, die entweder ganz unfähig der Poesie, oder unbestimmt in ihrem Geschmacke geworden. Beschränkung ist aber das Tu- gendprincip der Schwachheit, das Allgemeine verdammet sie, darum kann das Ueberschwengliche nie von ihr gefordert werden. Der Einfluß davon ist unbegrenzt, denn indem die Schauspieler das Gemeine vornehm machen wollen, machen sie das Ungemeine auch nichts weiter als vornehm (sie lassen Müller und Schorn- steinfeger sich an einander abreiben). So suchen nun die Künst- ler aller Art um in gleichen Verhältnissen zu leben, wie sie die- selben gewöhnlich darstellen, da ihren Lohn, wo sie selten hinge- hören und nimmermehr hineinpassen sollten, wo es der Zweck des ganzen mühevollen Lebens, sich so leise wie möglich neben einander wegzuschieben, sie denken nicht, daß die besten Stein- schneider Sklaven, die besten altdeutschen Mahler zünftig waren. Daher das Abarbeiten ihrer edelsten Kraft an Formen des An- standes, die ihnen sich selbst gegeben, wenn sie wirklich etwas Würdiges geben: Daher das Bemühen der Kunstsänger zu sin- gen, wie Vornehme gern reden möchten, ganz dialektlos, das heist, sie wollen singen ohne zu klingen, sie möchten blasen auf einem Saiteninstrumente. O ihr lebendigen Aeolsharfen, wenn ihr nur sanft wäret; und wenn ihr sanft wäret, o hättet ihr doch Ton. Dem geschickten Künstler sind die Dialekte Tonar- ten *), er vernachläßigt keine, wenn er gleich nur in einer sich selbst vorgezeichnet finden kann, das heutige Theater treibt sie aus einander nach Süden und Norden, Osten und Westen, keiner kann sich fügen dem Fremden, da doch alle einander in Volks- liedern begegnen, wie Lustkähne, die eben erst vom gemeinschaft-
*) Lorenz Medicis (Life of Medicis by Roscoe I. 296.) der in der Welt zu Hause, wie ein andrer in seinen vier Wänden, verstand den Werth des Dialekts und schrieb zuerst in der Bauernsprache seines Landes.
ſchaft, die entweder ganz unfaͤhig der Poeſie, oder unbeſtimmt in ihrem Geſchmacke geworden. Beſchraͤnkung iſt aber das Tu- gendprincip der Schwachheit, das Allgemeine verdammet ſie, darum kann das Ueberſchwengliche nie von ihr gefordert werden. Der Einfluß davon iſt unbegrenzt, denn indem die Schauſpieler das Gemeine vornehm machen wollen, machen ſie das Ungemeine auch nichts weiter als vornehm (ſie laſſen Muͤller und Schorn- ſteinfeger ſich an einander abreiben). So ſuchen nun die Kuͤnſt- ler aller Art um in gleichen Verhaͤltniſſen zu leben, wie ſie die- ſelben gewoͤhnlich darſtellen, da ihren Lohn, wo ſie ſelten hinge- hoͤren und nimmermehr hineinpaſſen ſollten, wo es der Zweck des ganzen muͤhevollen Lebens, ſich ſo leiſe wie moͤglich neben einander wegzuſchieben, ſie denken nicht, daß die beſten Stein- ſchneider Sklaven, die beſten altdeutſchen Mahler zuͤnftig waren. Daher das Abarbeiten ihrer edelſten Kraft an Formen des An- ſtandes, die ihnen ſich ſelbſt gegeben, wenn ſie wirklich etwas Wuͤrdiges geben: Daher das Bemuͤhen der Kunſtſaͤnger zu ſin- gen, wie Vornehme gern reden moͤchten, ganz dialektlos, das heiſt, ſie wollen ſingen ohne zu klingen, ſie moͤchten blaſen auf einem Saiteninſtrumente. O ihr lebendigen Aeolsharfen, wenn ihr nur ſanft waͤret; und wenn ihr ſanft waͤret, o haͤttet ihr doch Ton. Dem geſchickten Kuͤnſtler ſind die Dialekte Tonar- ten *), er vernachlaͤßigt keine, wenn er gleich nur in einer ſich ſelbſt vorgezeichnet finden kann, das heutige Theater treibt ſie aus einander nach Suͤden und Norden, Oſten und Weſten, keiner kann ſich fuͤgen dem Fremden, da doch alle einander in Volks- liedern begegnen, wie Luſtkaͤhne, die eben erſt vom gemeinſchaft-
*) Lorenz Medicis (Life of Medicis by Roscoe I. 296.) der in der Welt zu Hauſe, wie ein andrer in ſeinen vier Waͤnden, verſtand den Werth des Dialekts und ſchrieb zuerſt in der Bauernſprache ſeines Landes.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0450"n="431[441]"/>ſchaft, die entweder ganz unfaͤhig der Poeſie, oder unbeſtimmt<lb/>
in ihrem Geſchmacke geworden. Beſchraͤnkung iſt aber das Tu-<lb/>
gendprincip der Schwachheit, das Allgemeine verdammet ſie,<lb/>
darum kann das Ueberſchwengliche nie von ihr gefordert werden.<lb/>
Der Einfluß davon iſt unbegrenzt, denn indem die Schauſpieler<lb/>
das Gemeine vornehm machen wollen, machen ſie das Ungemeine<lb/>
auch nichts weiter als vornehm (ſie laſſen Muͤller und Schorn-<lb/>ſteinfeger ſich an einander abreiben). So ſuchen nun die Kuͤnſt-<lb/>
ler aller Art um in gleichen Verhaͤltniſſen zu leben, wie ſie die-<lb/>ſelben gewoͤhnlich darſtellen, da ihren Lohn, wo ſie ſelten hinge-<lb/>
hoͤren und nimmermehr hineinpaſſen ſollten, wo es der Zweck<lb/>
des ganzen muͤhevollen Lebens, ſich ſo leiſe wie moͤglich neben<lb/>
einander wegzuſchieben, ſie denken nicht, daß die beſten Stein-<lb/>ſchneider Sklaven, die beſten altdeutſchen Mahler zuͤnftig waren.<lb/>
Daher das Abarbeiten ihrer edelſten Kraft an Formen des An-<lb/>ſtandes, die ihnen ſich ſelbſt gegeben, wenn ſie wirklich etwas<lb/>
Wuͤrdiges geben: Daher das Bemuͤhen der Kunſtſaͤnger zu ſin-<lb/>
gen, wie Vornehme gern reden moͤchten, ganz dialektlos, das<lb/>
heiſt, ſie wollen ſingen ohne zu klingen, ſie moͤchten blaſen auf<lb/>
einem Saiteninſtrumente. O ihr lebendigen Aeolsharfen, wenn<lb/>
ihr nur ſanft waͤret; und wenn ihr ſanft waͤret, o haͤttet ihr<lb/>
doch Ton. Dem geſchickten Kuͤnſtler ſind die Dialekte Tonar-<lb/>
ten <noteplace="foot"n="*)">Lorenz Medicis (<hirendition="#aq">Life of Medicis by Roscoe I</hi>. 296.) der in der Welt<lb/>
zu Hauſe, wie ein andrer in ſeinen vier Waͤnden, verſtand den Werth<lb/>
des Dialekts und ſchrieb zuerſt in der Bauernſprache ſeines Landes.</note>, er vernachlaͤßigt keine, wenn er gleich nur in einer ſich<lb/>ſelbſt vorgezeichnet finden kann, das heutige Theater treibt ſie aus<lb/>
einander nach Suͤden und Norden, Oſten und Weſten, keiner<lb/>
kann ſich fuͤgen dem Fremden, da doch alle einander in Volks-<lb/>
liedern begegnen, wie Luſtkaͤhne, die eben erſt vom gemeinſchaft-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[431[441]/0450]
ſchaft, die entweder ganz unfaͤhig der Poeſie, oder unbeſtimmt
in ihrem Geſchmacke geworden. Beſchraͤnkung iſt aber das Tu-
gendprincip der Schwachheit, das Allgemeine verdammet ſie,
darum kann das Ueberſchwengliche nie von ihr gefordert werden.
Der Einfluß davon iſt unbegrenzt, denn indem die Schauſpieler
das Gemeine vornehm machen wollen, machen ſie das Ungemeine
auch nichts weiter als vornehm (ſie laſſen Muͤller und Schorn-
ſteinfeger ſich an einander abreiben). So ſuchen nun die Kuͤnſt-
ler aller Art um in gleichen Verhaͤltniſſen zu leben, wie ſie die-
ſelben gewoͤhnlich darſtellen, da ihren Lohn, wo ſie ſelten hinge-
hoͤren und nimmermehr hineinpaſſen ſollten, wo es der Zweck
des ganzen muͤhevollen Lebens, ſich ſo leiſe wie moͤglich neben
einander wegzuſchieben, ſie denken nicht, daß die beſten Stein-
ſchneider Sklaven, die beſten altdeutſchen Mahler zuͤnftig waren.
Daher das Abarbeiten ihrer edelſten Kraft an Formen des An-
ſtandes, die ihnen ſich ſelbſt gegeben, wenn ſie wirklich etwas
Wuͤrdiges geben: Daher das Bemuͤhen der Kunſtſaͤnger zu ſin-
gen, wie Vornehme gern reden moͤchten, ganz dialektlos, das
heiſt, ſie wollen ſingen ohne zu klingen, ſie moͤchten blaſen auf
einem Saiteninſtrumente. O ihr lebendigen Aeolsharfen, wenn
ihr nur ſanft waͤret; und wenn ihr ſanft waͤret, o haͤttet ihr
doch Ton. Dem geſchickten Kuͤnſtler ſind die Dialekte Tonar-
ten *), er vernachlaͤßigt keine, wenn er gleich nur in einer ſich
ſelbſt vorgezeichnet finden kann, das heutige Theater treibt ſie aus
einander nach Suͤden und Norden, Oſten und Weſten, keiner
kann ſich fuͤgen dem Fremden, da doch alle einander in Volks-
liedern begegnen, wie Luſtkaͤhne, die eben erſt vom gemeinſchaft-
*) Lorenz Medicis (Life of Medicis by Roscoe I. 296.) der in der Welt
zu Hauſe, wie ein andrer in ſeinen vier Waͤnden, verſtand den Werth
des Dialekts und ſchrieb zuerſt in der Bauernſprache ſeines Landes.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 431[441]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/450>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.