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Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

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fängt sich bis es herausgelacht; wie ein Labirinth ist es, einmal
hinein, müssen wir wohl weiter, aber aus Furcht vor dem Lind-
wurm der drin eingesperrt, suchen wir gleich nach dem auslei-
tenden Faden. So hat diese leere Poesie uns oft von der Mu-
sik vielleicht die Musik selbst herabgezogen. Neues muste dem
Neuen folgen, nicht weil die Neuen so viel Neues geben konn-
ten, sondern weil so viel verlangt wurde: so war einmal einer
leichtfertigen Art von Liedern zum Volke Bahn gemacht, die nie
Volkslieder werden konnten. In diesem Wirbelwind des Neuen,
in diesem vermeinten urschnellen Paradiesgebären auf Erden
waren auch in Frankreich (schon vor der Revolution, die dadurch
vielleicht erst möglich wurde), fast alle Volkslieder erloschen, noch
jezt sind sie arm daran, was soll sie an das binden, was ihnen
als Volk festdauernd? Auch in England werden Volkslieder sel-
tener gesungen; auch Italien sinkt in seinem nationalen Volks-
liede, in der Oper durch Neuerungssucht der leeren Leute; selbst
in Spanien soll sich manches Lied verlieren und nichts Bedeuten-
des sich verbreiten. -- O mein Gott, wo sind die alten Bäume,
unter denen wir noch gestern ruhten, die uralten Zeichen fester
Grenzen, was ist damit geschehen, was geschieht? Fast ver-
gessen sind sie schon unter dem Volke, schmerzlich stoßen wir uns
an ihren Wurzeln. Ist der Scheitel hoher Berge nur einmal
ganz abgeholzt, so treibt der Regen die Erde hinunter, es
wächst da kein Holz wieder, daß Deutschland nicht so weit ver-
wirthschaftet werde, sey unser Bemühen.



Wo ich zuerst die volle, thateneigene Gewalt und den Sinn
des Volksliedes vernahm, das war auf dem Lande. In warmer
Sommernacht weckte mich ein buntes Geschrey. Da sah ich aus
meinem Fenster durch die Bäume, Hofgesinde und Dorfleute,
wie sie einander zusangen:


faͤngt ſich bis es herausgelacht; wie ein Labirinth iſt es, einmal
hinein, muͤſſen wir wohl weiter, aber aus Furcht vor dem Lind-
wurm der drin eingeſperrt, ſuchen wir gleich nach dem auslei-
tenden Faden. So hat dieſe leere Poeſie uns oft von der Mu-
ſik vielleicht die Muſik ſelbſt herabgezogen. Neues muſte dem
Neuen folgen, nicht weil die Neuen ſo viel Neues geben konn-
ten, ſondern weil ſo viel verlangt wurde: ſo war einmal einer
leichtfertigen Art von Liedern zum Volke Bahn gemacht, die nie
Volkslieder werden konnten. In dieſem Wirbelwind des Neuen,
in dieſem vermeinten urſchnellen Paradiesgebaͤren auf Erden
waren auch in Frankreich (ſchon vor der Revolution, die dadurch
vielleicht erſt moͤglich wurde), faſt alle Volkslieder erloſchen, noch
jezt ſind ſie arm daran, was ſoll ſie an das binden, was ihnen
als Volk feſtdauernd? Auch in England werden Volkslieder ſel-
tener geſungen; auch Italien ſinkt in ſeinem nationalen Volks-
liede, in der Oper durch Neuerungsſucht der leeren Leute; ſelbſt
in Spanien ſoll ſich manches Lied verlieren und nichts Bedeuten-
des ſich verbreiten. — O mein Gott, wo ſind die alten Baͤume,
unter denen wir noch geſtern ruhten, die uralten Zeichen feſter
Grenzen, was iſt damit geſchehen, was geſchieht? Faſt ver-
geſſen ſind ſie ſchon unter dem Volke, ſchmerzlich ſtoßen wir uns
an ihren Wurzeln. Iſt der Scheitel hoher Berge nur einmal
ganz abgeholzt, ſo treibt der Regen die Erde hinunter, es
waͤchſt da kein Holz wieder, daß Deutſchland nicht ſo weit ver-
wirthſchaftet werde, ſey unſer Bemuͤhen.



Wo ich zuerſt die volle, thateneigene Gewalt und den Sinn
des Volksliedes vernahm, das war auf dem Lande. In warmer
Sommernacht weckte mich ein buntes Geſchrey. Da ſah ich aus
meinem Fenſter durch die Baͤume, Hofgeſinde und Dorfleute,
wie ſie einander zuſangen:


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[428[438]/0447] faͤngt ſich bis es herausgelacht; wie ein Labirinth iſt es, einmal hinein, muͤſſen wir wohl weiter, aber aus Furcht vor dem Lind- wurm der drin eingeſperrt, ſuchen wir gleich nach dem auslei- tenden Faden. So hat dieſe leere Poeſie uns oft von der Mu- ſik vielleicht die Muſik ſelbſt herabgezogen. Neues muſte dem Neuen folgen, nicht weil die Neuen ſo viel Neues geben konn- ten, ſondern weil ſo viel verlangt wurde: ſo war einmal einer leichtfertigen Art von Liedern zum Volke Bahn gemacht, die nie Volkslieder werden konnten. In dieſem Wirbelwind des Neuen, in dieſem vermeinten urſchnellen Paradiesgebaͤren auf Erden waren auch in Frankreich (ſchon vor der Revolution, die dadurch vielleicht erſt moͤglich wurde), faſt alle Volkslieder erloſchen, noch jezt ſind ſie arm daran, was ſoll ſie an das binden, was ihnen als Volk feſtdauernd? Auch in England werden Volkslieder ſel- tener geſungen; auch Italien ſinkt in ſeinem nationalen Volks- liede, in der Oper durch Neuerungsſucht der leeren Leute; ſelbſt in Spanien ſoll ſich manches Lied verlieren und nichts Bedeuten- des ſich verbreiten. — O mein Gott, wo ſind die alten Baͤume, unter denen wir noch geſtern ruhten, die uralten Zeichen feſter Grenzen, was iſt damit geſchehen, was geſchieht? Faſt ver- geſſen ſind ſie ſchon unter dem Volke, ſchmerzlich ſtoßen wir uns an ihren Wurzeln. Iſt der Scheitel hoher Berge nur einmal ganz abgeholzt, ſo treibt der Regen die Erde hinunter, es waͤchſt da kein Holz wieder, daß Deutſchland nicht ſo weit ver- wirthſchaftet werde, ſey unſer Bemuͤhen. Wo ich zuerſt die volle, thateneigene Gewalt und den Sinn des Volksliedes vernahm, das war auf dem Lande. In warmer Sommernacht weckte mich ein buntes Geſchrey. Da ſah ich aus meinem Fenſter durch die Baͤume, Hofgeſinde und Dorfleute, wie ſie einander zuſangen:

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Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 428[438]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/447>, abgerufen am 23.11.2024.