Aus einem geschriebenen geistlichen Liederbuche vom Jahre 1601. in der Sammlung von Clemens Brentano.
In einem See sehr groß und tief, Ein böser Drach sich sehen ließ.
Dem ganzen Land er Schrecken bringt, Viel Menschen und viel Vieh verschlingt,
Und mit des Rachens bösem Duft Vergiftet er ringsum die Luft.
Daß er nicht dringe zu der Stadt, Beschloß man in gemeinem Rath,
Zwey Schaaf zu geben alle Tag, Um abzuwenden diese Plag.
Und da die Schaaf schier all dahin, Erdachten sie noch andern Sinn,
Zu geben einen Menschen dar, Der durch das Loos gewählet war.
Das Loos ging um so lang und viel, Bis es aufs Königs-Tochter fiel.
Der König sprach zu'n Burgern gleich: "Nehmt hin mein halbes Königreich!
"Ich gebe auch an Gut und Gold, "Von Silber und Geld so viel ihr wollt,
Ritter St. Georg.
Aus einem geſchriebenen geiſtlichen Liederbuche vom Jahre 1601. in der Sammlung von Clemens Brentano.
In einem See ſehr groß und tief, Ein boͤſer Drach ſich ſehen ließ.
Dem ganzen Land er Schrecken bringt, Viel Menſchen und viel Vieh verſchlingt,
Und mit des Rachens boͤſem Duft Vergiftet er ringsum die Luft.
Daß er nicht dringe zu der Stadt, Beſchloß man in gemeinem Rath,
Zwey Schaaf zu geben alle Tag, Um abzuwenden dieſe Plag.
Und da die Schaaf ſchier all dahin, Erdachten ſie noch andern Sinn,
Zu geben einen Menſchen dar, Der durch das Loos gewaͤhlet war.
Das Loos ging um ſo lang und viel, Bis es aufs Koͤnigs-Tochter fiel.
Der Koͤnig ſprach zu'n Burgern gleich: „Nehmt hin mein halbes Koͤnigreich!
„Ich gebe auch an Gut und Gold, „Von Silber und Geld ſo viel ihr wollt,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0160"n="151"/><divn="2"><head><hirendition="#g">Ritter St</hi>. <hirendition="#g">Georg</hi>.</head><lb/><prendition="#c">Aus einem geſchriebenen geiſtlichen Liederbuche vom Jahre 1601. in der<lb/>
Sammlung von <hirendition="#g">Clemens Brentano</hi>.</p><lb/><lgtype="poem"><lgn="1"><l><hirendition="#in">I</hi>n einem See ſehr groß und tief,</l><lb/><l>Ein boͤſer Drach ſich ſehen ließ.</l></lg><lb/><lgn="2"><l>Dem ganzen Land er Schrecken bringt,</l><lb/><l>Viel Menſchen und viel Vieh verſchlingt,</l></lg><lb/><lgn="3"><l>Und mit des Rachens boͤſem Duft</l><lb/><l>Vergiftet er ringsum die Luft.</l></lg><lb/><lgn="4"><l>Daß er nicht dringe zu der Stadt,</l><lb/><l>Beſchloß man in gemeinem Rath,</l></lg><lb/><lgn="5"><l>Zwey Schaaf zu geben alle Tag,</l><lb/><l>Um abzuwenden dieſe Plag.</l></lg><lb/><lgn="6"><l>Und da die Schaaf ſchier all dahin,</l><lb/><l>Erdachten ſie noch andern Sinn,</l></lg><lb/><lgn="7"><l>Zu geben einen Menſchen dar,</l><lb/><l>Der durch das Loos gewaͤhlet war.</l></lg><lb/><lgn="8"><l>Das Loos ging um ſo lang und viel,</l><lb/><l>Bis es aufs Koͤnigs-Tochter fiel.</l></lg><lb/><lgn="9"><l>Der Koͤnig ſprach zu'n Burgern gleich:</l><lb/><l>„Nehmt hin mein halbes Koͤnigreich!</l></lg><lb/><lgn="10"><l>„Ich gebe auch an Gut und Gold,</l><lb/><l>„Von Silber und Geld ſo viel ihr wollt,</l></lg><lb/></lg></div></div></body></text></TEI>
[151/0160]
Ritter St. Georg.
Aus einem geſchriebenen geiſtlichen Liederbuche vom Jahre 1601. in der
Sammlung von Clemens Brentano.
In einem See ſehr groß und tief,
Ein boͤſer Drach ſich ſehen ließ.
Dem ganzen Land er Schrecken bringt,
Viel Menſchen und viel Vieh verſchlingt,
Und mit des Rachens boͤſem Duft
Vergiftet er ringsum die Luft.
Daß er nicht dringe zu der Stadt,
Beſchloß man in gemeinem Rath,
Zwey Schaaf zu geben alle Tag,
Um abzuwenden dieſe Plag.
Und da die Schaaf ſchier all dahin,
Erdachten ſie noch andern Sinn,
Zu geben einen Menſchen dar,
Der durch das Loos gewaͤhlet war.
Das Loos ging um ſo lang und viel,
Bis es aufs Koͤnigs-Tochter fiel.
Der Koͤnig ſprach zu'n Burgern gleich:
„Nehmt hin mein halbes Koͤnigreich!
„Ich gebe auch an Gut und Gold,
„Von Silber und Geld ſo viel ihr wollt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 151. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/160>, abgerufen am 22.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.