Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806.

Bild:
<< vorherige Seite

"Nimm sie zur Hand, führ sie von dann,
"Daß sie nicht schau mein Marter an."

"Ja, Herr, das will ich gerne thun,
"Ich will sie führen allzuschön,
"Ich will sie trösten wohl und gut,
"Wie ein Kind seiner Mutter thut."
Da kam ein Jud und Höllenbrand,
Ein Speer führt er in seiner Hand,
Gab damit Jesu einen Stoß,
Daß Blut und Wasser daraus floß.
Nun bück dich Baum, nun bück dich Ast,
Jesus hat weder Ruh noch Rast;
Ach traure Laub und grünes Gras,
Laßt euch zu Herzen gehen das!
Die hohen Berge neigten sich,
Die starken Felsen rissen sich,
Die Sonn verlor auch ihren Schein,
Die Vöglein ließen ihr Rufen und Schreyn.
Die Wolken schrien Weh und Ach!
Die Felsen gaben einen Krach,
Den Todten öffnete sich die Thür,
Und gingen aus den Gräbern für.


„Nimm ſie zur Hand, fuͤhr ſie von dann,
„Daß ſie nicht ſchau mein Marter an.“

„Ja, Herr, das will ich gerne thun,
„Ich will ſie fuͤhren allzuſchoͤn,
„Ich will ſie troͤſten wohl und gut,
„Wie ein Kind ſeiner Mutter thut.“
Da kam ein Jud und Hoͤllenbrand,
Ein Speer fuͤhrt er in ſeiner Hand,
Gab damit Jeſu einen Stoß,
Daß Blut und Waſſer daraus floß.
Nun buͤck dich Baum, nun buͤck dich Aſt,
Jeſus hat weder Ruh noch Raſt;
Ach traure Laub und gruͤnes Gras,
Laßt euch zu Herzen gehen das!
Die hohen Berge neigten ſich,
Die ſtarken Felſen riſſen ſich,
Die Sonn verlor auch ihren Schein,
Die Voͤglein ließen ihr Rufen und Schreyn.
Die Wolken ſchrien Weh und Ach!
Die Felſen gaben einen Krach,
Den Todten oͤffnete ſich die Thuͤr,
Und gingen aus den Graͤbern fuͤr.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <lg type="poem">
            <lg n="11">
              <pb facs="#f0153" n="144"/>
              <l>&#x201E;Nimm &#x017F;ie zur Hand, fu&#x0364;hr &#x017F;ie von dann,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Daß &#x017F;ie nicht &#x017F;chau mein Marter an.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="12">
              <l>&#x201E;Ja, Herr, das will ich gerne thun,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Ich will &#x017F;ie fu&#x0364;hren allzu&#x017F;cho&#x0364;n,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Ich will &#x017F;ie tro&#x0364;&#x017F;ten wohl und gut,</l><lb/>
              <l>&#x201E;Wie ein Kind &#x017F;einer Mutter thut.&#x201C;</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="13">
              <l>Da kam ein Jud und Ho&#x0364;llenbrand,</l><lb/>
              <l>Ein Speer fu&#x0364;hrt er in &#x017F;einer Hand,</l><lb/>
              <l>Gab damit Je&#x017F;u einen Stoß,</l><lb/>
              <l>Daß Blut und Wa&#x017F;&#x017F;er daraus floß.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="14">
              <l>Nun bu&#x0364;ck dich Baum, nun bu&#x0364;ck dich A&#x017F;t,</l><lb/>
              <l>Je&#x017F;us hat weder Ruh noch Ra&#x017F;t;</l><lb/>
              <l>Ach traure Laub und gru&#x0364;nes Gras,</l><lb/>
              <l>Laßt euch zu Herzen gehen das!</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="15">
              <l>Die hohen Berge neigten &#x017F;ich,</l><lb/>
              <l>Die &#x017F;tarken Fel&#x017F;en ri&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ich,</l><lb/>
              <l>Die Sonn verlor auch ihren Schein,</l><lb/>
              <l>Die Vo&#x0364;glein ließen ihr Rufen und Schreyn.</l>
            </lg><lb/>
            <lg n="16">
              <l>Die Wolken &#x017F;chrien Weh und Ach!</l><lb/>
              <l>Die Fel&#x017F;en gaben einen Krach,</l><lb/>
              <l>Den Todten o&#x0364;ffnete &#x017F;ich die Thu&#x0364;r,</l><lb/>
              <l>Und gingen aus den Gra&#x0364;bern fu&#x0364;r.</l>
            </lg>
          </lg>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[144/0153] „Nimm ſie zur Hand, fuͤhr ſie von dann, „Daß ſie nicht ſchau mein Marter an.“ „Ja, Herr, das will ich gerne thun, „Ich will ſie fuͤhren allzuſchoͤn, „Ich will ſie troͤſten wohl und gut, „Wie ein Kind ſeiner Mutter thut.“ Da kam ein Jud und Hoͤllenbrand, Ein Speer fuͤhrt er in ſeiner Hand, Gab damit Jeſu einen Stoß, Daß Blut und Waſſer daraus floß. Nun buͤck dich Baum, nun buͤck dich Aſt, Jeſus hat weder Ruh noch Raſt; Ach traure Laub und gruͤnes Gras, Laßt euch zu Herzen gehen das! Die hohen Berge neigten ſich, Die ſtarken Felſen riſſen ſich, Die Sonn verlor auch ihren Schein, Die Voͤglein ließen ihr Rufen und Schreyn. Die Wolken ſchrien Weh und Ach! Die Felſen gaben einen Krach, Den Todten oͤffnete ſich die Thuͤr, Und gingen aus den Graͤbern fuͤr.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/153
Zitationshilfe: Arnim, Achim von; Brentano, Clemens: Des Knaben Wunderhorn. Bd. 1. Heidelberg, 1806, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnim_wunderhorn01_1806/153>, abgerufen am 27.12.2024.